Radsport / Tour kehrt nach Nice zurück: Ein Fest in der Stadt der Wunden
Erstmals in ihrer Geschichte endet die Tour de France nicht in Paris, sondern in Nice. Es ist ein symbolträchtiger Ort: Dort geschah während der Tour 2016 ein verheerender Anschlag.
Es war kein gezielter Anschlag auf die Tour de France, aber einer auf alle Franzosen. Und damit natürlich auch auf die Tour. Als am 14. Juli 2016, dem Nationalfeiertag, ein Attentäter in Nice fast 100 Menschen brutal ermordete, traf er auch die damals nur 200 km entfernte Frankreich-Rundfahrt in ihrem Innersten. Wenn an diesem Wochenende die Tour am damaligen Terrorort auf der Strandpromenade des azurblauen Mittelmeer-Paradieses endet, sind die acht Jahre alten Schatten präsent.
„Es gab eine andere große Stadt, die sich für das Finale angeboten hat. Aber mit Nice haben wir einfach eine historische Verbindung“, sagt Tour-Chef Christian Prudhomme über die Suche für einen Ersatzausrichter der finalen Etappen. Paris und die Champs-Élysées standen wegen der Olympischen Spiele nicht zur Verfügung, deshalb – historisch genug – findet der Tour-Schlusspunkt erstmals in 121 Jahren nicht in der Hauptstadt statt.
Zeitfahren an der Promenade des Anglais
Nice, die maritime Perle mit Franko-Italo-Flair, wo am Samstag eine Bergetappe und am Sonntag das abschließende Zeitfahren stattfinden, ist ein logischer Ersatz. Einerseits traditioneller Tour-Ort – erstmals machte die „Grande Boucle“ 1906 in Nice Station. Andererseits ist die Tour der Stadt noch etwas schuldig. „2020 hatten wir dort den ‚Grand départ’, wegen der Pandemie aber ohne Zuschauer, jetzt bekommt die Côte d’Azur ihr historisches Ereignis“, sagt Prudhomme.
Den Anschlag von 2016 erwähnt Prudhomme nicht, er soll bei der Vergabe an Nice zumindest offiziell keine Rolle gespielt haben. Und dennoch spielt er nun eine zentrale: Das Zeitfahren führt exakt dort an der Promenade des Anglais vorbei, wo ein Islamist beim Volksfest zum Nationalfeiertag in einem Lastwagen in die Menge raste. 86 Menschen starben, rund 400 wurden zum Teil schwer verletzt.
Es war eine bittere Zeit für Frankreich: Im Vorjahr schon hatten in Paris die Anschläge auf Charlie Hebdo (zwölf Tote) sowie auf das Stade de France und das „Bataclan“ (130 Tote) die Nation schwer getroffen. Nice war die Fortsetzung.
Gedenken an 2016
Die Stadt, sonst eine Ausgeburt an Fröhlichkeit und Savoir-vivre, eine Blumenstadt, benötigte Zeit, um die Wunden heilen zu lassen. „Wir sind aber stärker aus dieser Zeit hervorgegangen“, sagt Bürgermeister Christian Estrosi. Auch das will Nice bei dieser Tour demonstrieren.
Vor der großen Party am Wochenende wurde es am Freitag kurz still. Dutzende Terroropfer aus verschiedenen Ländern absolvierten den Tour-Zeitfahrkurs, mit dem Fahrrad, mit dem Handbike, mit dem Rollstuhl. Es ist eine kleine Mahnung, die körperliche Unversehrtheit nicht für selbstverständlich zu nehmen.
Am 14. Juli 2016, als in Nice die Hölle losbrach, war auch die Tour in Südfrankreich unterwegs, hatte an diesem Tag die Etappe am Mont Ventoux absolviert. So nah kam der Terror der Tour nie davor, nie danach. Dass ein so exponiertes Ereignis wie das größte Radrennen der Welt mit Abermillionen Zuschauern nie ernsthaft getroffen wurde, mag an den Sicherheitsmaßnahmen liegen. Vielleicht hatte die Tour aber auch, und daran erinnert Nice, sehr viel Glück. (SID)
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