Triathlon / Warum Jeanne Lehair ihrer Darmflora bestens vertraut
Während einige wohl nicht einmal die Zehenspitzen in die sagenumwobene Seine reinstecken würden, beginnt am Pont Alexandre III für Jeanne Lehair am frühen Mittwochmorgen mit einem Kopfsprung eines der wichtigsten Rennen ihres Lebens. Die Triathletin, deren größte Stärke beim abschließenden Laufen liegt, startet seit November 2022 für Luxemburg. In der aktuellen Weltrangliste liegt sie auf Platz sechs. Ein Einblick in den Karriereverlauf einer 28-jährigen Hoffnungsträgerin, die in Paris Sterne und Freudentränen in den Augen haben will.
Jeanshose, Converse-Schuhe, lockiges Haar und ihre hellblaue Trainingsjacke: Jeanne Lehair wirkte bei ihrer Präsentation in der Coque nicht nur wegen des Outfits wie eine bodenständige und gelassene 28-Jährige. Nur dass die 1,59 m große Frau zu den großen Hoffnungen der Luxemburger Delegation gehört. Dass sie sich selbst allerdings bewusst nicht gerne in den Vordergrund drängt – oder auffallen will –, hat einen Grund: „Ich bin eigentlich sehr zufrieden mit meiner Outsider-Rolle“, spielte Lehair hohe Erwartungen in einem Satz herunter. Doch in ihrer Branche ist die Europameisterin von 2023 (die noch vor drei Wochen als Zweite beim letzten Weltcup in Hamburg aus dem Wasser stieg und am Ende Vierte wurde) schon lange keine Außenseiterin mehr. „Ich werde mir nicht einreden, dass ich eine Medaille holen werde, aber ich darf daran glauben. Dass die Leute auf mich setzen, ist ja eigentlich auch der Beweis, dass diese kleine Chance besteht, ein Qualitäts-Outsider zu sein.“
Dabei sah es vor vier Jahren noch ganz anders für die gebürtige Französin aus. Die frühere Junioren-Vize-Europameisterin sowie Welt- und Europameisterin im Team (2015) musste auf die harte Tour erfahren, dass sie nach diesen Titeln keine Rolle mehr in den Plänen der französischen Triathlon-Elite spielte. Sie gehörte nur noch zum erweiterten Kader. Zudem verschlechterte sich über die Jahre die Bindung zu ihrem Klubtrainer in Metz. Die Lothringerin wollte und brauchte einen Neuanfang – der ausgerechnet mit einer Information ihres inzwischen verstorbenen Großvaters begann: Er berichtete ihr über seine luxemburgischen Eltern. Erst ihre Mutter und dann sie selbst erhielten 2022 die Staatsbürgerschaft.
„Absolut positives Umfeld“
Die Dinge nahmen ihren Lauf. „2020 habe ich den Trainer gewechselt, das hat mir mental enorm gutgetan. Gleichzeitig habe ich dann auch die ersten Schritte für den Verbandswechsel unternommen und lernte später meinen Freund kennen. Inzwischen bin ich in einem absolut positiven Umfeld angekommen. Ich denke auch, dass es der Grund ist, dass ich in diesen vier Jahren nicht ein einziges Mal verletzt war. All diese Dinge haben mir erlaubt, mich neu aufzubauen und an mein bestes Niveau anzuknüpfen. Ich habe wieder Menschen vertraut, die mein Bestes wollten.“ Dazu gehören auf sportlicher Ebene u.a. der luxemburgische Verband mit Cyrille Eple (FLTri-Nationaltrainer), Thomas Andreos (Technischer Direktor) sowie ihr neuer Coach in Monte Gordo (POR), Paulo Sousa. Für ihr furioses Comeback nach Corona – sie zog nach Toulouse – krempelte sie ihr ganzes Leben um. „Eine der Stärken der Triathleten ist es, sich an die Bedingungen anzupassen“, sagte sie.
Diese Lebensphilosophie trifft nicht nur zu, wenn es um Neuanfänge geht, sondern auch ganz konkret für Paris 2024. Nachdem sogar Bürgermeisterin Anne Hidalgo medienwirksam in der Seine plantschte, geht das Team Lëtzebuerg davon aus, dass der Wettbewerb wie geplant stattfinden kann. „Wir haben uns alle auf drei Disziplinen vorbereitet und wollen daher auch ein komplettes Rennen. Ehrlich gesagt hat man uns schon in ganz andere Wasser geschickt …“, gab Lehair zu verstehen. Dabei wurde sie ausgerechnet Europameisterin, als in Madrid aus denselben Gründen eine 5-km-Laufrunde das Schwimmen ersetzte. „So etwas wäre eine Schande für die Olympischen Spiele. Jeder weiß, dass meine Stärke das Laufen ist, aber ich bevorzuge den kompletten Wettbewerb.“ Die gesamte Trainingssteuerung lief darauf hinaus, dass sie am 31. Juli ihr Form-Peak des Jahres erreichen soll, Höhentrainingslager im Juli inklusive. „Ich habe Fortschritte beim Schwimmen gemacht. Selbst wenn es jetzt eine Verschiebung von drei Tagen geben sollte, wäre das immer noch besser als eine Duathlon-Notlösung.“
Die Chancen sind groß, dass ich bei der Strecken-Erkennung auf das Schwimmen verzichten werde, um keine Risiken einzugehen
So wirklich traut man der Wasserqualität dann wohl verständlicherweise nicht – bei den Organisatoren und beim Trainerstab. Ihr Team überließ der Sportlerin die Wahl, am Montagmorgen an der Trainingseinheit im Wasser teilzunehmen – doch der Triathlon-Weltverband sagte auch die zweite und letzte Test-Möglichkeit kurzfristig ab. Mit einem Lachen verkündete Lehair, dass sie als Tochter eines Gastroenterologen möglicherweise ohnehin über eine gestärkte Darmflora verfügen würde, es aber in dieser Hinsicht keine besonderen Vorkehrungen geben würde. Im vergangenen Jahr hatte sie bei einem Test-Event an gleicher Stelle ohnehin Erfahrung mit der Seine gemacht. Drei Dinge sind ihr im Gedächtnis geblieben – die Strömung und zwei Fehler, die sie diesmal nicht wiederholen will. „Auf dem Radparcours habe ich gelitten. Ich will diesmal besser auf der Strecke platziert sein. Das habe ich mir sogar auf das Rad geschrieben. Zudem habe ich damals auch gemerkt, dass ich mir neue Trinkflaschen-Halter besorgen muss, da ich die Flaschen auf einigen Passagen wegen der Kopfsteinpflaster mit meiner Hand anhalten musste.“
Drei und eins
Für diesen Weg zu den Olympischen Spiele legte Lehair in den beiden letzten Jahren 2.000 Trainingskilometer im Wasser, 24.000 Kilometer auf dem Rad und 5.600 Kilometer in den Laufschuhen zurück. Von den zwölf Ergebnissen der World Tour unter Luxemburger Flagge erzielte sie die acht besten seit Sommer 2023. Neben ihrer Vorliebe für Quiche Lorraine und dem vorläufigen Plan, irgendwann einmal in den Journalismus einzusteigen, sind Zahlenspiele rund um die Ziffer Vier das große Steckenpferd der Athletin. Nach ihrer Schokoladenmedaille in Hamburg meldete sich sogar eine Freundin mit der Bitte, es in Paris dann noch ein Ticken besser zu machen. Selbst das Datum passt, wie Andreos bei der letzten Pressekonferenz hervorhob: „Rechnet man drei und eins zusammen …“
Lehair, die sich als sehr kommunikativen, offenherzigen und manchmal auch nervigen Menschen beschrieb, ist gleichzeitig ehrgeizig und emotional. „Ich weine oft“, meinte sie mit einem Lachen. „Die Trainer haben mir bewusst gemacht, dass ich an mich glauben muss, da ich die Konkurrenz manchmal zu stark einschätze. Ich will auf jeden Fall unter die Top acht, aber an einem guten Tag kann im Triathlon alles passieren. Ich will vor allem am Ende nichts bereuen müssen.“
Kühlen Kopf behalten kann sie einerseits dank der besonderen Helme, die man ihr besorgte, aber auch wegen externer Betreuung. „Ich bin eigentlich nicht oft wirklich gestresst und fühle auch bislang keinen großen Druck. Doch es gab auch diese Gedanken, dass es mich von einem Tag zum nächsten überwältigen würde.“ Über diese Gefühle gab es mehrere Gespräche mit einem Sportpsychologen. Auch die Umgewöhnung des Schlafrhythmus hat sie beschäftigt. Um 4.00 Uhr wird der Wecker am Mittwochmorgen klingeln, der Startschuss fällt vier Stunden später. Für die Frau, die für das Motto „Vier gewinnt“ steht, könnte es aber eigentlich keine besseren Voraussetzungen geben. Ihr nächster Blick richtet sich ohnehin schon jetzt auf Los Angeles in vier Jahren.
Zwei FLTri-Träume geplatzt
Es wäre eine Premiere gewesen: Durch die Ankunft von Jeanne Lehair im Luxemburger Team waren die Hoffnungen groß, erstmals eine Staffel für den olympischen Triathlon-Wettbewerb qualifizieren zu können. Die ersten internationalen Testläufe verliefen vielversprechend. Doch dann verletzte sich 2022 mit Eva Daniëls die zweite Dame der Mannschaft so schwer, dass das Quartett seine Träume begraben musste. Am Ende fehlten Gregor Payet 0,04 Prozent in der letzten Weltrangliste der Männer, um Lehair nach Paris begleiten zu dürfen.
Kurz oder lang?
Jeanne Lehair hat wenige Wochen vor ihrer ersten Olympia-Teilnahme ihr allererstes personalisiertes Fahrrad, ein Girs Solo, abholen dürfen. Auf dem hellblauen und weißen Rahmen prangt ein kleiner „Roude Léiw“ sowie der Spruch „Place-toi“. Zudem wird sie in einem komplett neuen Einteiler an den Start gehen, war sich aber Mitte Juli noch nicht ganz sicher, ob sie sich für ein Modell mit oder ohne Shorts entscheiden würde. „Das wird wohl temperaturabhängig sein“, sagte sie. „Bei über 30 Grad nur im Schwimmanzug, sollten es weniger Grade sein, dann wohl mit Beinen. Eigentlich bin ich kein großer Fan der Hitze, doch bei den Rennen läuft es gerade dann meist gut.“
Triathlon: So funktioniert’s
Jeanne Lehair wird um 8.00 Uhr in der Seine zwei Runden (die erste ist 910 m lang, die zweite 590 m) zurücklegen. Erstmals in der Geschichte Olympias müssen dann auf dem Weg zur Wechselzone des Pont Alexandre III 32 Stufen zurückgelegt werden. Der Radparcours (40 Kilometer) wird auf einem Rundkurs von 5,715 Kilometern gefahren, der siebenmal zurückgelegt werden muss. Am Grand Palais vorbei geht es auf die Champs-Elysées über den Pont des Invalides und den Quai d’Orsay. Zum Schluss erwartet die Athleten ein Rundkurs von 2,5 Kilometern (der viermal gelaufen wird) durch das Herz der Stadt. Wer den Schlussspurt nicht verpassen will, sollte spätestens nach 1:40 Stunden einschalten …
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