Schulsport / Was der Ausfall des Sportunterrichts über seinen Stellenwert in Luxemburg aussagt
Der Sportunterricht fällt in Luxemburg bis zum Ende dieses Schuljahres aus. Die Sportlehrer und Experten sehen diese Maßnahme durchaus kritisch. Dabei zeigt ein Blick ins Ausland, dass Sportunterricht in Corona-Zeiten durchaus möglich ist. Ein Gespräch mit Dr. Claude Scheuer über den Sinn und Zweck des Sportunterrichts sowie den Stellenwert des Schulsports in Luxemburg.
Am kommenden Montag werden dann auch die Grundschüler wieder zur Schule gehen. Wie bei der „Rentrée“ im „Secondaire“ wird der Sportunterricht aber bis zum Jahresende ausfallen. So hat es das Gesundheitsministerium entschieden. Eine Tatsache, die vom Verband der Sportlehrer (APEP) bedauert wurde. Man hätte durchaus Alternativen ausarbeiten können, um körperliche Betätigung mit in den Stundenplan einfließen zu lassen. So sieht es auch Dr. Claude Scheuer von der Universität Luxemburg. „Es ist sicherlich keine einfache Situation, aber man hätte gemeinsam mit Experten eine Lösung finden können, um den Sportunterricht an die sanitären Bedingungen anzupassen. Es ist bedauerlich, dass dies nicht passiert ist.“ Vor allem, da während des gesamten Lockdowns darauf hingewiesen wurde, wie wichtig körperliche Betätigung sei.
Das Sportministerium hat sogar eigens die Plattform aktivdoheem.lu ins Leben gerufen, damit die Bürger zum Sporttreiben animiert werden. Während des Lockdowns hatte Scheuer das Gefühl, dass sehr viele Familien mit Kindern draußen unterwegs waren, ob zu Fuß oder mit dem Rad. „Man darf aber nicht vergessen, dass immer noch viele Kinder in bewegungsfernen Haushalten aufwachsen, wo sportliche Aktivitäten keine Rolle spielen. Durch den Ausfall des Sportunterrichts bleiben diese Kinder ein halbes Jahr ohne körperliche Betätigung.“ Der Schulsport ist immer noch die einzige Möglichkeit, sämtliche Kinder und Jugendlichen zu erreichen.
Laut Scheuer ist Luxemburg neben Österreich das einzige Land, das ihm bekannt ist, wo der Sportunterricht bei den Schulöffnungen ganz ausgeklammert wurde. Andere Länder hätten gezeigt, was möglich sei. In der Schweiz zum Beispiel wurde speziell für den Sportunterricht der Sicherheitsabstand von zwei Metern gelockert, wenngleich Körperkontakt verboten bleibt. „Man kann nun davon halten, was man will, aber es zeigt, dass es möglich ist, Sportunterricht durchzuführen“, so Scheuer, der glaubt, dass man die Hygiene-Regeln hierfür nicht einmal lockern muss. „Es gibt viele Sportarten, die man unter Berücksichtigung der Sicherheitsmaßnahmen durchführen kann. Bei dem schönen Wetter kann man sogar viele Aktivitäten draußen organisieren.“ Auch Frankreich und Belgien, Länder, die härter von der Pandemie betroffen sind als Luxemburg, würden Sportunterricht an Schulen zulassen.
Mangelnde Quantität
Dass der Sportunterricht bei der „Rentrée“ ausgeklammert wurde, spiegele den Stellenwert wider, den das Fach in Luxemburg genieße. Die Sportlehrer kämpfen seit Jahren vergeblich um eine Aufwertung ihres Fachs sowie um zusätzliche Schulstunden. Bisweilen vergeblich. „Es mangelt definitiv an der Quantität“, sagt Scheuer, der an der Uni unter anderem für die Ausbildung der Grundschullehrer in Sachen Sport und Bewegungserziehung verantwortlich ist. Was die Qualität angehe, so verfüge Luxemburg im „Secondaire“ über einen innovativen Lehrplan, an dem sich andere Länder orientieren würden. „Im Sportunterricht wird nicht nur der reinen körperlichen Betätigung Beachtung geschenkt, sondern der Lehrplan trägt auch den sozialen Aspekten des Sports Rechnung, ebenso soll der Sportunterricht das Zusammenarbeiten zwischen den Schülern stärken.“ Es mangele halt nur an ausreichend Stunden. In der Schweiz, wo die Schüler in der Regel zwar ein Jahr weniger zur Schule gehen, dafür aber mehr Schulstunden pro Woche haben, stehen in jeder Klasse mindestens drei Sportstunden die Woche auf dem Lehrplan. In Ungarn oder Dänemark seien es sogar fünf. In diesen Ländern sei körperliche Betätigung fester Bestandteil des Schulalltags.
Der Großteil unserer Studenten kommt aus dem klassischen Gymnasium und hatte dort in den letzten drei Schuljahren eine Stunde Sport in der Woche. Dann kommen sie zu uns zur Uni und wir erklären ihnen, wie wichtig körperliche Betätigung ist.Wissenschaftler an der Uni.lu
Davon ist Luxemburg noch weit entfernt. Vor allem in der Grundschule gibt es beim Sportunterricht noch Nachholbedarf, wenngleich in den vergangenen Jahren einige Fortschritte zu verzeichnen waren. „In der Grundschule haben wir keine ausgebildeten Sportlehrer, aber wir legen bei der Ausbildung der Grundschullehrer verstärkt Wert auf Sport und Bewegungserziehung“, so Scheuer, der darin aber auch einen Widerspruch in der Bildungspolitik erkennt. „Der Großteil unserer Studenten kommt aus dem klassischen Gymnasium und hatte dort in den letzten drei Schuljahren eine Stunde Sport in der Woche. Dann kommen sie zu uns zur Uni und wir erklären ihnen, wie wichtig körperliche Betätigung ist.“ Das Bewusstsein für Bewegungserziehung sei dennoch bei den meisten Studenten vorhanden.
Es sind aber nicht bloß die letzten drei Jahre im Gymnasium, in denen der Sport zu kurz kommt. Ein zentraler Aspekt ist laut Scheuer die Beurteilung der Schüler beim Übergang von der Grund- in die Sekundarschule. Hier werden lediglich die Kompetenzen in Deutsch, Französisch und Mathematik getestet. „Weder die Naturwissenschaftler noch Kunst und Sport spielen eine Rolle.“ Deshalb sei es auch verständlich, dass Schüler, Eltern und Lehrkräfte diesen Fächern unter Umständen weniger Bedeutung beimessen. Dabei geht es im Sport genau wie in anderen Fächern darum, gewisse Kompetenzen zu erlernen. Scheuer benutzt den Begriff „Physical literacy“, was nichts anderes bedeutet als die Kompetenz einer Person, sich über das gesamte Leben so körperlich zu betätigen, wie es gesund für sie ist. Hierzu zählen sowohl die praktische Umsetzung der sportlichen Aktivitäten wie auch das theoretische Verständnis, wie und weshalb man Sport treiben soll.
Um diese Kompetenz zu erlernen, braucht es Zeit.
Lesen Sie hierzu unser Editorial von Sportredakteur Chris Schleimer.
Zur Person
Dr. Claude Scheuer arbeitet seit elf Jahren als Wissenschaftler an der Uni.lu. Er ist unter anderem zuständig für die Aus- und Weiterbildung der Grundschullehrer im Bereich der Bewegungserziehung. Scheuer ist selbst ausgebildeter Sportlehrer und arbeitete sowohl in der Grundschule als auch im „Secondaire“. Er ist Vorstandsmitglied des luxemburgischen Verbands der Sportlehrer und Präsident des europäischen Sportlehrerverbands.
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