Fall Sinner / „Wie ein Vulkanausbruch“: WADA behält sich Berufungsrecht vor, Kritik von der Konkurrenz – und viele offene Fragen
Jannik Sinner hat bislang ein Strahlemann-Image im Tennis. Doch nun gibt es zwei positive Dopingtests, einen Freispruch und viele Fragen. Die WADA will sich die Entscheidung der zuständigen Tennis-Agentur genau anschauen. Kritik gibt es von der Konkurrenz und Experten.
Die La Gazzetta dello Sport bringt es auf den Punkt. „Eine Nachricht, die die Erde beben ließ wie ein Vulkanausbruch“, schrieb die italienische Tageszeitung zum unter Dopingverdacht stehenden Tennisstar Jannik Sinner. Und nichts weniger ist der Fall des Weltranglisten-Ersten für das Millionengeschäft Tennis.
Auch wenn alle Beteiligten schnell bemüht waren, die Unschuld des 23-Jährigen zu beteuern, zu erklären und zu dokumentieren. Dass die Nummer eins der Welt überhaupt zwei positive Dopingproben abgegeben hat, trifft die Branche bis ins Mark.
Schließlich befindet sich das Herren-Tennis gerade in einer Übergangsphase. Roger Federer ist längst Rentner, Rafael Nadal steht kurz vor seinem Rücktritt und auch Novak Djokovic dürfte nach der Erfüllung seines letzten großen Traums mit Olympia-Gold nicht mehr lange auf dem Tennis-Platz anzutreffen sein.
Der neue Star
Jannik Sinner und Carlos Alcaraz – dieses Duo soll die nächste Ära auf der ATP-Tour prägen. Beide jung, beide hochtalentiert, beide populär und beliebt. Der Übergang schien fließend zu verlaufen, der Boom im Tennis unaufhaltsam weiterzugehen. Dass Sinner im Januar in Melbourne seinen ersten Grand-Slam-Titel gewann – es passte einfach alles für die Tennis-Macher.
Dass nun ausgerechnet eines der beiden Gesichter der neuen Tennis-Ära mit Doping in Verbindung gebracht wird, ist in der Tat ein Beben „wie ein Vulkanausbruch“ für die Tennis-Szene. Auch wenn Sinner erst einmal um eine Sperre herumkommt. Denn obwohl der Italiener, der gerade erst das Masters-1000-Turnier in Cincinnati gewonnen hat, im März zweimal positiv auf das verbotene anabole Steroid Clostebol getestet wurde, darf er bei den an diesem Montag beginnenden US Open ganz normal an den Start gehen.
Nach Angaben der verantwortlichen Tennis-Agentur ITIA ist Sinner am vergangenen Donnerstag von einem unabhängigen Gericht freigesprochen worden, da er das verbotene Mittel nicht vorsätzlich verwendet habe. Sinner erklärte in einem in den sozialen Medien verbreiteten Statement, die Substanz sei über die Hände seines Physiotherapeuten in seinen Körper gelangt. Demnach habe der Betreuer ein in Italien rezeptfreies Clostebol-haltiges Spray benutzt, um einen Schnitt an seinem eigenen Finger zu behandeln.
Danach habe er Sinner massiert, was „zu einer unwissentlichen transdermalen Kontamination führte“. Der ITIA zufolge hielten wissenschaftliche Sachverständige Sinners Erklärung für glaubwürdig. Deshalb habe die Tennis-Agentur auch davon abgesehen, den Italiener zumindest vorläufig zu suspendieren. Lediglich das Preisgeld und die Ranglisten-Punkte für den Halbfinal-Einzug beim ATP-Turnier in Indian Wells werden ihm aberkannt.
Scharfe Kritik
Eine milde Bestrafung, die Doping-Experte Fritz Sörgel scharf kritisiert. „Wenn jemand positiv auf Clostebol getestet wird, dann wird er automatisch gesperrt“, sagt Sörgel. „Die Reihenfolge nach einem positiven Test, der angezweifelt wird, ist der Gang zur Nationalen Anti-Doping Agentur, zur WADA, zum CAS. Wieso kann Sinner dann von einem Gericht freigesprochen werden?“, fragt Sörgel. „Das stinkt zum Himmel.“ „Aus meiner Sicht ist das Thema nicht durch“, sagte der Pharmazeut: „Es ist ein eindeutiger Befund. Clostebol ist Clostebol, und Clostebol führt automatisch zu einer zwei- bis vierjährigen Sperre.“
Die Welt-Anti-Doping-Agentur will die Entscheidung zunächst „sorgfältig prüfen“. Das teilte die WADA auf Anfrage der dpa mit. Man behalte sich das Recht vor, gegebenenfalls Berufung beim Internationalen Sportgerichtshof in Lausanne einzulegen.
Sinners Kollegen hielten sich mit Äußerungen zu dem brisanten Fall größtenteils zurück, es gab allerdings auch kritische Töne. „Lächerlich, ob es nun ein Unfall war oder nicht“, schrieb etwa der Australier Nick Kyrgios im sozialen Netzwerk X: „Du solltest für zwei Jahre gesperrt werden. Deine Leistung hat sich verbessert.“ Auch der Kanadier Denis Shapovalov ist nicht begeistert: „Ich kann mir nicht vorstellen, was andere wegen Kontamination mit verbotenen Substanzen gesperrte Spieler derzeit fühlen.“ (dpa)
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