Leichtathletik / Wie Multitaskerin Vera Hoffmann Sport und Beruf unter einen Hut bekommt
Sie hat am längsten warten müssen: Als letzte Luxemburgerin startet Vera Hoffmann am Dienstag über 1.500 Meter. Vor ihrem Olympia-Start gab es von der 27-jährigen Powerfrau ein paar ganz private Einblicke. Von Olympia-Zielen über Netflix-Serien bis hin zum Schwellenbereich und ihrem Halbtagsjob.
St. Moritz nur im Sommer: Nachdem am 2. Juli feststand, dass Vera Hoffmann sich über das Olympia-Ranking für die 33. Sommerspiele qualifiziert hatte, hieß es gleich wieder Kofferpacken in Richtung Leichtathletik-Mekka. Als „Hotspot“ der Mittelstreckenläufer stufte die Celtic-Athletin den Schweizer Ferienort St. Moritz ein. „Es handelt sich um einen bekannten Trainingsort, der gleichzeitig gut erreichbar ist. Im Winter dominiert der Schnee, aber im Sommer sind die Bedingungen ideal. Es ist eigentlich die einzige gute Option für Höhentraining in Europa.“ Kein Wunder also, dass sich die Elite der Branche in den vergangenen Wochen dort über den Weg lief. Hoffmann spulte die Kilometer beispielsweise mit finnischen und schweizerischen Trainingsgruppen ab. „Da viele alleine oder nur mit ihrem Trainer unterwegs sind, spricht man sich ab. Dauerläufe kann man beispielsweise gemeinsam machen.“ Eigentlich war diese intensive Vorbereitung ein Kontrastprogramm zu ihrem Alltag als Berufstätige. „Es war toll, den Fokus in diesen Wochen so gezielt auf das Stichdatum richten zu können.“ Im Winter wird man Hoffmann allerdings eher nicht beim Wintersport in den Bergen antreffen. Obschon sie sich als Naturmensch beschreibt, gehören Kälte und Schnee nicht zu ihren Favoriten.
Die perfekte Mischung: Vera Hoffmann ist auf vier Indoor-Strecken und auf fünf Outdoor-Distanzen nationale Rekordhalterin. Beim Nordstadsemi im März schraubte sie die Bestzeit über 10 km auf 33:46 Minuten herunter. Über eine Meile ist sie sowohl auf der Straße als auch auf der Bahn Rekordhalterin, ebenso auf den 3.000 Metern. Ihre bislang schnellsten 1.500 Meter der Karriere lief sie im Juni in Polen (4:05,92 Minuten). „Straße und Bahn sind zwei ganz verschiedene Dinge. Mit einem 10-km-Lauf kann eigentlich jeder etwas anfangen. Die Community ist eine andere. Es haben mehr Leute Verständnis für die Zeiten. Für mich sind die 1.500 Meter allerdings die perfekte Distanz zwischen Ausdauer und Taktik. Das macht den Reiz aus und diese vier Minuten auf der Bahn bereiten mir auch den meisten Spaß.“
Die Olympia-Taktik: In den vergangenen Monaten musste Vera Hoffmann im Hinblick auf das Olympia-Ranking konstante Leistung aufbringen. Von den 4:12,52 Minuten im Januar ging es runter auf die 4:05,92 Minuten im Juni. Eine beachtliche Steigerung. „Wenn man Bestzeit laufen will, überlegt man nicht viel. Man denkt nur daran, dranzubleiben. Wenn allerdings die Möglichkeit besteht, Energie in einem Vorlauf zu sparen, wie beispielsweise bei der Universiade (dort holte sie 2023 Silber), dann denkt man während des Rennens schon etwas mehr nach und gibt auf den letzten 200 Metern Vollgas.“ In Paris ist Letzteres keine Option: „Für mich ist es ein Riesenerfolg, qualifiziert zu sein. Bei so einem Event kann man in den Vorläufen nicht verwalten. Eigentlich ist das für mich schon ein Finale: Es muss alles passen, um es ins Halbfinale zu schaffen.“ Sie wird so oder so zweimal in Paris laufen, denn es besteht die Chance auf ein „Repêchage“.
Es begann mit dem Challenge Tageblatt: Sie ist damit sicherlich nicht die Einzige: Genau wie für die meisten jungen Lizenzierten der FLA sammelte Vera Hoffmann bei den Meetings des Challenge Tageblatt erste Wettkampferfahrungen. Dort stellte sich dann heraus, dass das Laufen ihr am besten lag. „Ich kann nicht behaupten, dass ich schon als Kind von Olympia geträumt habe. Es ging mir in den ersten Jahren eher um Bewegung, Training und Spaß. Der Klick kam, als ich die Norm für die U20-EM geknackt hatte. Obschon ich vorher auch schon diesen Wettkampfgedanken hatte, wurde es ab dann konkret.“ Der Traum von einer Teilnahme an den Tokio-Spielen platzte. „Corona, ein Trainerwechsel, der nicht funktionierte und ein Jahr, in dem es sportlich nicht so lief“, schlussfolgert sie heute. Als ihr damaliger Freund (inzwischen ihr Verlobter) Bob Bertemes im September 2022 begann, sie zu coachen, ging es wieder bergauf.
Ein Halbtagsjob beim COSL: Die Läuferin hat neben der Leichtathletik-Karriere in Köln Sporttherapie und Gesundheit studiert, danach einen internationalen Master in „High performance sports“ absolviert. Im März 2023 ist sie mit zwei Kollegen mit dem Projekt „Impuls“ beauftragt worden. „Finanziert wird das Projekt von der ‚Oeuvre Grande-Duchesse Charlotte’ und hat als gemeinsames Ziel des COSL, des Inaps und des Sportministeriums die kommunale Sport- und Bewegungsförderung. Konkret geht es darum, in den Gemeinden die Akteure zu identifizieren.“ Welches Angebot gibt es in den Gemeinden? Wo kann man ansetzen? Haben alle Altersgruppen Bewegungsangebote? Das sind die Fragen, auf die sie mit dem Sportkoordinator der Gemeinde Antworten und Lösungsansätze sucht. Zwischen den Homeoffice-Tagen ist sie in den Strassener Büros des COSL im Einsatz – und das 20 Stunden pro Woche. „Es ist wichtig für mich, dass mein Sport nicht den ganzen Platz im Leben einnimmt. Mein Lebensstil ist sehr strikt: Ich gehe früh zu Bett, treibe viel Sport. Auf der Arbeit ist das allerdings nicht das Hauptthema. Es tut mir gut, dass ich nicht immer Athletin bin. Zudem wird es mir meine Zukunft leichter machen. Wenn ich meine Laufkarriere beende, werde ich nicht verzweifelt nach einer neuen Identität suchen müssen. Es ist einfach eine Erleichterung, zu wissen, dass danach noch etwas kommt.“
Ihre Trainingsphilosophie: Vera Hoffmann bevorzugt bei ihrem Training viele Kilometer im Schwellenbereich. Vor anderthalb Wochen standen harte Einheiten auf dem Programm, um „Schärfe“ reinzubringen. „Die 1.500 Meter laufe ich nur in den Rennen voll durch. Im Training können es aber schon mal bis zu 800 Meter im Renntempo sein.“
Auf Hobbysuche: Die 27-Jährige beschreibt sich selbst als „langweilig“. Wenn nach der Arbeit und dem Sport noch etwas Zeit übrig bleibt, dann entscheidet sie sich meist fürs Lesen, Kochen oder Backen. „Gossip Girl“, „Bridgerton“ oder „Friends“ („ein Klassiker“) gehören zu den Serien, die sich Hoffmann dann anschaut. „Netflix hat kürzlich ‚Sprint’ hinzugefügt. Die habe ich gerade erst begonnen. Aber ich glaube, dass ich mir wirklich mal ein Hobby suchen muss“, fügt sie mit einem Lachen hinzu.
Vorbereitung als A und O: Große Nervosität bei Prüfungen verspürte sie nur, wenn sie sich nicht optimal vorbereitet hatte – und heute sei das vor ihren Läufen noch immer so. „Es gibt keinen Grund, Angst zu haben. Mein Trainer hilft mir, gibt mir das Selbstvertrauen.“ Auch die Kulisse wirkt mit zunehmender Erfahrung nicht mehr so überwältigend. „Inzwischen bin ich ein Teil der Leute, zu denen ich früher hochgeschaut habe. Dann merkt man, dass sie sind wie du und ich, nur schneller … Charles Grethen hat mich in Tokio beeindruckt. Er ist wie ich einer der Letzten im Ranking gewesen und ist dann ins Finale gelaufen.“
So würde ihr Trainer und Verlobter Bob Bertemes sie beschreiben: „Als ruhig, nicht wirklich spontan, ganz empatisch, und dass ich mich auf Menschen einlassen kann.“
Niederanven drückt die Daumen
Vera Hoffmann kann sich auf eine große Fangemeinde verlassen. Neben zahlreichen Luxemburger Fans, Familie, Freunden und den „Sauerbeen“ werden die Arbeitskollegen des Projekt „Impuls“ ihr die Daumen drücken. In der Gemeinde Niederanven, für die die Läuferin in den vergangenen Monaten zuständig war, ganz besonders: Die „Impuls“-Zuständigen haben in der Qualifikationsphase mitgefiebert. „Vera hat einen langen Atem bewiesen, gegen Ende hin war es ein Sprint, um den Zug nach Paris noch zu bekommen. Aber uns wundert das nicht. Sie ist auch beim Projekt ‚Impuls’ drangeblieben, war stets engagiert, motiviert und leistungsorientiert.“ Die WhatsApp-Gruppe explodierte förmlich, als Hoffmann das Ticket in der Tasche hatte. „Wir drücken ihr die Daumen und möchten ihr noch mit auf den Weg geben, dieses vielleicht einmalige Erlebnis ohne zu viel Druck anzugehen und es (auch) zu genießen.“ Mit „Wir“ unterschrieben übrigens Carine, Caroline, Christophe, Claude, Frank, Georges, Manon, Marc, Metty, Sharon, Sonny, Thierry, Tiziana, Véronique und Viktoria.
So geht’s weiter
Am Dienstagmorgen wird Vera Hoffmann um 10.05 Uhr mit der Startnummer 2143 im ersten der insgesamt drei Vorläufe starten. 45 Läuferinnen haben sich für Olympia qualifiziert und sind auf drei Vorläufe aufgeteilt worden. Die jeweils sechs Ersten rücken ins Halbfinale vor. Alle anderen haben am Mittwoch noch eine zweite Chance beim „Repêchage“. Hoffmann ist also sicher zweimal in Paris im Einsatz. Das Halbfinale ist für Donnerstag, 19.35 Uhr, programmiert.
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