Fußball-EM / „Wir werden 10:0 gewinnen“: Warum die Fans eine Bereicherung für das Turnier sind
Die Euro 2024 war bisher ein sehr unterhaltsames Turnier, mit vielen wunderbaren Toren, unterhaltsamen Momenten und einigen sportlichen Überraschungen. Die Atmosphäre bei den meisten Spielen war großartig. Es kann getrost behauptet werden, dass die Fans zu den größten Pluspunkten des Turniers gehören. Rivalitäten und die üblichen Neckereien zwischen den Fans haben dem Wettbewerb einen zusätzlichen Reiz verliehen. Wir haben einen Blick hinter die Kulissen geworfen.
„United in the heart of Europe“ ist der Slogan des Turniers – und bisher waren die Fans einer der Beweise für seine Authentizität. Allerdings lief nicht alles glatt.
Am Samstag reiste ich als Journalist zum Spiel zwischen England und Serbien nach Gelsenkirchen. Etwa drei Stunden vor dem Anpfiff versuchte ich mich zum Stadion von Schalke 04 durchzuschlagen, blieb aber auf halbem Weg stecken. Als ich versuchte, ein Restaurant im Stadtzentrum zu finden, sah ich gerade ein Dutzend Polizisten rennen – und schließlich vor einem Steakhaus stehen bleiben. Überall lag Glas herum, und das Fernsehteam von Sky Sports war gerade vor Ort.
Schließlich erklärte ein englischer Anhänger, was er gesehen hatte: eine Gruppe von Fans, die sich gegenseitig mit Sachen bewarfen, und mit „Sachen“ war alles gemeint, was sie in die Finger bekamen, wobei Stühle und Tische zu den beliebtesten „Sachen“ gehörten.
In den sozialen Medien gab es viele Berichte und Beschwerden über verspätete (oder ausgefallene) Züge, vor allem zu Beginn des Turniers, und auch ich als Journalist habe den Versuch, nach den Spielen zu meiner Unterkunft zu gelangen, als ziemlich abenteuerlich empfunden. Das lag vor allem an den überfüllten öffentlichen Verkehrsmitteln.
Die verrücktesten Szenen gab es wiederum in Gelsenkirchen zu sehen. Vor dem Spiel zwischen England und Serbien bin ich mit der S-Bahn vom Stadtzentrum in Richtung Stadion gefahren. Der Bahnsteig war voller englischer Fans, die gegen die Türen der Züge hämmerten und traditionelle Lieder sangen, darunter auch das, in dem es darum ging, dass deutsche Bomber „in die Luft fliegen“, aber auch, dass sie sich über ihre Rivalen, Schottland, lustig machten, da sie mit 5:1 geschlagen wurden.
Doch schon nach wenigen Minuten kippte die Stimmung drastisch. Die Fahrt mit der S-Bahn dauerte nur eine Station – und dann ging sie kaputt. Die Tür öffnete sich und nach einer Weile rannte ein Fan, der ein serbisches Trikot trug, auf die Gruppe junger Engländer zu, schubste einen von ihnen, stahl seine Mütze, rannte davon und blieb am Ende unverletzt, weil sich die Türen gerade schlossen, sodass ihm kein Engländer hinterherlaufen konnte.
Schließlich brach der öffentliche Nahverkehr in der Stadt zusammen, sodass Tausenden von Fans nichts anderes übrig blieb, als fünf Kilometer zu Fuß zu gehen, um bei starkem Regen zum Stadion zu gelangen. Ich habe die Strecke auch zurückgelegt – und ich konnte fast epische Versuche englischer Fans beobachten, die den überfüllten Shuttlebussen (vom Bahnhof) hinterherliefen, die allerdings nicht für sie anhielten.
„Der Echte, nicht Mel Gibson“
Am Mittwoch besetzten die schottischen Fans die Kölner Innenstadt vor dem Spiel gegen die Schweiz. Einer von ihnen, Clark Gillies, sagte dem Tageblatt, dass schätzungsweise 200.000 Schotten im ganzen Land verteilt sind, um ihre Mannschaft zu unterstützen. Am Mittwoch sah es tatsächlich so aus, als hätten sie den Platz vor dem Kölner Dom fest für sich eingenommen. Es waren Tausende von ihnen, die ihre traditionellen Röcke trugen und Bier tranken.
Ich fragte einen von ihnen, Ally, nach seiner Wette für dieses Spiel. „10:0 für Schottland“, antwortete er. Auf die Frage, wer in diesem Jahr Europameister wird, hatte er die Antwort parat: „Schottland“. Dann lachte er und fügte hinzu, dass er schließlich auf Deutschland hoffe, da sie es mit 5:1 geschlagen hätten, sodass Schottland „nicht so schlecht aussehen würde“.
Die schottischen Fans sind ein interessantes Beispiel: Es geht ihnen nicht so sehr ums Gewinnen, sondern eher darum, mit Freunden Spaß zu haben. Zwei Fans aus Glasgow standen neben mir, und einer von ihnen hatte ein großes Porträt auf seinen linken Arm tätowiert. Es war William Wallace, ein Ritter und einer der wichtigsten Anführer im ersten schottischen Unabhängigkeitskrieg. „Es ist der Echte, nicht Mel Gibson“, erklärte er weiter. Ein anderer fügte scherzhaft hinzu, es sei eine sehr gute Idee der Deutschen gewesen, eine Kathedrale direkt neben dem Hauptbahnhof zu bauen. Die Fans aus Glasgow unterstützen keinen Verein: Sie sagten, die Fanbasen von Celtic und Rangers brächten „zu viel Politik hinein“.
Clark Gillies unterstützt Schottland seit Ende der 80er-Jahre, als sich das Team für die Weltmeisterschaft 1990 in Italien qualifizierte. Danach begleitete er die Nationalmannschaft auf allen Reisen, die sie unternahm, und machte im Laufe der Jahre insgesamt mehr als 60 Auslandsreisen. Er begann mit den großen Turnieren bei der Euro 1996 und der Weltmeisterschaft 1998 in Frankreich. Damals wusste er aber noch nicht, dass er bis 2021 auf das nächste Turnier warten müsste.
Während er Schottland unterstützte, erlebte Clark eine Menge Herzschmerz. Aber er lernte auch die Frau seines Lebens kennen. Im Jahr 2003 besuchte Clark ein Spiel der schottischen Nationalmannschaft in Litauen und kam in einem Restaurant mit einer jungen Frau ins Gespräch. Sie erzählte ihm, dass sie aus der Ukraine stamme und gerade als Austauschstudentin nach Litauen gegangen sei. Er beeindruckte sie mit seinem Wissen über Sergiy Rebrov, Andriy Shevchenko und andere Starspieler von Dynamo Kyiv. Ein Jahr später begleitete sie ihn auf einer Reise nach Moldawien – wo Schottland wieder spielte – und wurde schließlich seine Frau.
In Köln am Mittwoch vergnügte sich Clark gerade vor dem Dom, als er plötzlich Ukrainer hörte. Es stellte sich heraus, dass es sich um eine Gruppe von Leuten aus der Stadt seiner Frau, Ternopil, handelte, und sie kannten auch seinen Schwiegervater.
Eine Nacht im Auto für ein Spiel
Große Turniere sind voll von lustigen Momenten wie diesem. Die schottischen Fans, die sogenannte „Tartan Army“, sind in Deutschland, um Spaß zu haben und die Stimmung zu genießen, und kümmern sich nicht so sehr um die Ergebnisse. Das ist eine gute Idee, wenn man bedenkt, wie schlecht Schottland in die Euro gestartet ist, auch wenn es am Ende ein Unentschieden gegen die Schweiz gab. Es gibt auch andere Fans von Mannschaften aus dem Mittelfeld, die von ihren Spielern gute Ergebnisse erwarten: Die Türkei und Albanien sind dafür ein gutes Beispiel. Die türkischen Fans waren verrückt nach ihrer Mannschaft, insbesondere nach dem jungen Offensivstar Arda Güler (von Real Madrid), als sie in Dortmund gegen Georgien (3:1) gewannen. Die georgische Nationalhymne wurde ausgepfiffen, und auf der Tribüne wurde ausgiebig gefeiert, als die türkischen Fans fast die Laptops der Medienvertreter in der ersten Reihe umwarfen.
Am vergangenen Samstag waren die Albaner im BVB-Stadion in Dortmund zahlenmäßig klar im Vorteil, als Albanien gegen Italien antrat. Offiziell wurden die Karten im Verhältnis halbe-halbe vergeben, aber tatsächlich waren viel mehr Albaner als Italiener da. Dafür gibt es eine einfache Erklärung: Die Albaner begannen, die Karten von den Italienern zu kaufen, auch wenn ihr Preis auf dem Markt schließlich auf etwa 400 oder 500 Euro anstieg. Im Stadion waren viele Albaner, die im Ausland arbeiten. Einer von ihnen erzählte mir, wie er mit dem Auto aus England kam, darin schlief, um Geld zu sparen, und plante, nach dem Spiel nach Großbritannien zurückzukehren. Das Spiel, das mit einer 1:2-Niederlage endete, war im Grunde ein nationales Ereignis für Albanien: Der albanische Fußballverband hatte sogar rund 200 seiner ehemaligen Nationalspieler ins Stadion eingeladen. Eine ähnliche Atmosphäre herrschte ein paar Tage später in Hamburg, als man sich gegen Kroatien ein Unentschieden erkämpfte.
Diese Art von Geschichten sind ein starkes Argument für eine Euro mit 24 Mannschaften: unterschiedliche Fangemeinden und kleine Teams, die auf harte Arbeit und Kampfgeist setzen.
* Der Autor dieser Reportage ist freier Journalist aus der Slowakei und arbeitet u.a. für das Fachmagazin FourFourTwo, die englische Tageszeitung The Guardian und ESPN.
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