/ Aufstieg – Fall – Wiederauferstehung
Ein interessanter Fall in der Welt-Wirtschaftsgeschichte ist die isländische Bankenkrise von 2008. Kaum eine Bankenkrise wurde im Nachhinein derart tiefgründig untersucht wie diese. Eine der akademischen Aufarbeitungs-Studien wurde im Dezember 2017 vom akademischen Wirtschaftsmagazin Brookings Papers on Economic Activity veröffentlicht. Sie nimmt vor allem die Entwicklung der Finanzinstitute unter die Lupe.
Im Jahr 2008 brach das komplette Bankensystem Islands innerhalb von nur einer Woche zusammen. Wegen Massenprotesten musste schlussendlich die Regierung zurücktreten. Was war passiert?
Am Anfang der Geschichte steht die Privatisierung von Islands (zuvor mehrheitlich staatlichen) Banken. Innerhalb von nur fünf Jahren nach der Privatisierung 2003 sind die drei Banken derart schnell gewachsen, dass ihre Bilanzsumme plötzlich neun Mal höher ist als die gesamte Wirtschaftsleistung des Landes mit seinen 330.000 Einwohnern. Zehn Jahre zuvor, im Jahr 1998, standen die Bilanzsummen der drei isländischen Banken gerade Mal für 100 Prozent der nationalen Wirtschaftsleistung.
Zusammenbruch innerhalb einer Woche
Doch mit der Privatisierung kamen die Schwierigkeiten, so die Autoren. Das Problem: Die drei Banken sind an eng miteinander verbundene Investoren-Gruppen verkauft worden, die sich gegenseitig Geld geliehen hatten, um die Bank-Käufe finanzieren zu können.
Damit hatten die Banken gleich von Anfang an eine schwache Kapital-Struktur. Die Privatisierung hatte kein neues Kapital in die Finanzinstitute gebracht. Das machte sie – im Falle von Krisen – anfällig. Die staatlichen Finanzaufseher des Landes ließen das jedoch alles passieren, so die Studie.
Danach starteten die drei Banken mit ihrer internationalen Expansion. Wie der Zufall es so wollte, was das zu einer Zeit, in der international viel Geld unterwegs war – und in der die Investoren verzweifelt nach besseren Renditen suchten.
In einer ersten Phase (2004, 2005) finanzierten sich die drei Banken somit in Europa über den Anleihemarkt. Als diese Finanzierungsquelle im Jahr 2006 austrocknete, wandten sich die drei Kreditinstitute an den US-Anleihemarkt.
Auch dort stiegen die Kosten für neue Darlehen und die Isländer entdeckten den „normalen“ europäischen Kunden. Mittels Internet versuchten sie so (mit besseren Zinssätzen als die Konkurrenz), Gelder von Europas Sparer anzuziehen. Bis Mitte des Jahres 2008 war diese Summe auf 16 Milliarden Euro gewachsen.
Im Jahr 2007/8, als auch diese Geldquelle austrocknete, versuchten sich die Isländer (mit Erfolg) bei der Isländischen – und bei der Europäischen Zentralbank – zu refinanzieren. Als die isländischen Banken schlussendlich pleitegingen, schuldeten ihre luxemburgischen Niederlassungen Europas Zentralbank laut Studie noch 3,5 Milliarden Euro.
Der „Austausch von Liebesbriefen“
Besonders heikel dabei war ein sogenannter „Austausch von Liebesbriefen“, wie die Autoren hervorheben. In diesem Zusammenhang gab eine Bank Anleihen (Schuldscheine) heraus. Diese wurden dann von dem anderen Kreditinstitut gekauft und bei den Zentralbanken als Garantie für neue Schulden hinterlegt.
Und da es keine Begrenzung darüber gibt, wie viele Schuldscheine sie sich gegenseitig verkaufen können, hatten die Finanzinstitute fast eine Lizenz zum Gelddrucken. Die Europäische Zentralbank zog irgendwann die Bremse – in Island ging das Spiel noch bis zum bitteren Ende weiter.
Nach der Frage, wo das Geld herkam, befassten sich die Autoren der Studie „The Rise, the Fall, and the Resurrection of Iceland“ dann mit dem Thema, wohin das Geld geflossen ist.
Und die Antworten sind haarsträubend: Als die Banken platzten, konnten etwa 20 Prozent aller Darlehen auf sechs untereinander vernetzte Gruppen zurückgeführt werden. Jede einzelne zählte zu den Besitzern von einem der drei Kreditinstitute. Mit anderen, überspitzten Worten: Die Banken nahmen internationale Darlehen auf und verteilten das Geld als Kredite an ihre Manager und Besitzer.
Insgesamt war die Summe der vergebenen Darlehen von 12 Milliarden Euro im Jahr 2004 auf 74 Milliarden Euro im Jahr 2008 angestiegen. Und bei einem Großteil der Kredite (54 Prozent) waren Aktien (oftmals eigene Bankaktien) als Garantie akzeptiert worden, so die Studie.
Eine weitere Besonderheit der zweifelhaften Kredite (oft an internationale Scheingesellschaften) war hierbei, dass die Banken auf regelmäßige Rückzahlungen verzichtet hatten – eine Rückzahlung am Ende sollte reichen.
Und diese Politik, sich selber Geld zu leihen, wurde nicht nur in Island getätigt. Auch in den Luxemburger Niederlassung der Kaupthing und der Landsbanki sollen Insider sehr hohe Kredite erhalten haben, heißt es in der Studie. Hier gilt es zu bemerken, dass zu den luxemburgischen Aktivitäten der isländischen Banken nur wenige Daten öffentlich sind.
Die Lizenz zum Gelddrucken
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Mit dem Eintreten der Liquiditätskrise Mitte 2007 gerieten die Banken ernsthaft unter Druck. Sie begannen, eigene Aktien (in Höhe von 3,5 Milliarden Euro in den 20 Monaten vor der Pleite) aufzukaufen. Andernfalls hätten sie deutlich mehr Geld für Kredite zahlen müssen – die sie mit eben diesen Aktien abgesichert hatten. Die Finanzinstitute vergaben sogar Darlehen an befreundete Unternehmen, damit diese ihre Aktien ankaufen und so den Kurseinbruch begrenzen, hebt die Studie hervor. Als Garantie für die Darlehen dienten dann eben diese Aktien. Das Ziel war also eine Manipulation der Aktienpreise.
Als dann im September 2008 der Bank Glitnir die Devisen ausgingen, brach das gesamte finanzielle Kartenhaus zusammen. Das Vertrauen in die Banken war hin. Im Oktober wurden alle drei teilverstaatlicht. Wegen der internationalen Verflechtungen der Banken litten nach dem Platzen nicht nur Isländer an den Folgen, sondern Sparer in ganz Europa – auch in Luxemburg.
Trotzdem wurde vor allem Island heftigst von den Folgen der Misswirtschaft der drei Finanzinstitute getroffen. Bis 2010 war die Wirtschaftsleistung des Landes um zehn Prozent eingebrochen – das verfügbare Einkommen der Bürger brach gar um 20 Prozent ein.
Nach der Verstaatlichung spaltete die Regierung die Banken in zwei Teile. Den neuen (in Island tätigen Instituten) wurde neues Kapital zur Verfügung gestellt. Die Spareinlagen wurden abgesichert. Die ausländischen Geschäfte hingegen flossen in eine „Bad Bank“.
Um den Wertverfall der nationalen Währung zu stoppen (50 Prozent Wertverlust in zwölf Monaten) wurden Kapitalkontrollen verhängt. Ein IWF-Darlehen versorge das Land mit neuen Devisen. Doch trotz all der Härte der wirtschaftlichen und finanziellen Folgen hat sich Island bereits heute aus der Krise herausgearbeitet. Im Jahr 2007 galt es als viertreichstes Land der Welt (Wirtschaftsleistung pro Kopf). 2010 rutschte es in dem Ranking um satte 21 Plätze nach hinten, doch 2017 erklomm das Land wieder Rang vier.
Zu dem wirtschaftlichen Aufschwung trug auch die schwächere Landeswährung bei. Dies verbilligte isländische Produkte auf dem Weltmarkt und machte das Land viel attraktiver für ausländische Touristen.
Und obwohl der nationale Schuldenstand bis 2011 um satte 67,6 Prozentpunkte anstieg, sind die Autoren der Studie überzeugt, dass der isländische Staat es mittelfristig sogar schaffen wird, einen kleinen finanziellen Gewinn aus der Bankenrettung zu ziehen.
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