Kommentar / Die Angst hat gesiegt: Zum Ausgang der Wahlen in Spanien
Siegen heißt nicht unbedingt Regieren. Diese politische Weisheit scheint sich nun auch in Spanien zu bestätigen. Denn das konservative Lager hat in dem südeuropäischen Land einen bitteren Sieg geholt, der sich noch in eine Niederlage verwandeln könnte.
Der konservative Spitzenkandidat Feijóo von der Volkspartei verfehlte zusammen mit seinem potenziellen Koalitionspartner, der ultrarechten Partei Vox, die absolute Mehrheit. Er wird voraussichtlich keine tragfähige Regierung bilden können. Feijóo büßte dafür, dass er sein Schicksal an die reaktionäre Rechtsaußenpartei gebunden hatte. Eine Partei, welche die in Spanien 1975 untergegangene Franco-Rechtsdiktatur verteidigt und die Zeit in Spanien zurückdrehen will.
Der politische Horrorkatalog der Rechtspopulisten, die gegen Gleichberechtigung, Abtreibung und Klimaschutz sind, verschreckte die konservativen Wähler. Und stärkte zugleich das progressive Lager um den sozialdemokratischen Premier Sánchez. Der landete zwar trotzdem nur auf dem zweiten Platz, kann sich aber als heimlicher Gewinner fühlen.
Obwohl es auch Sánchez nicht einfach haben wird, mit seiner Minderheitsregierung aus Linksalternativen und Sozialdemokraten weiterzumachen. Dieses Wackelkabinett war bisher schon von den Separatistenparteien in der spanischen Region Katalonien abhängig. Dort hat immer noch der vor der Justiz nach Brüssel geflohene Carles Puigdemont viel zu sagen.
Doch die Angst der spanischen Wähler vor einer konservativen Feijóo-Koalition unter der Fuchtel der rechtsradikalen Vox-Partei war offenbar größer als die Sorge vor einer instabilen Sánchez-Regierung von Puigdemonts Gnaden.
Große Koalition der Mitte
Man darf gespannt sein, welchen Preis Puigdemont demnächst verlangen wird, um den Weg für eine neue Amtszeit Sánchez’ freizumachen. Die Begnadigung? Die katalanische Unabhängigkeit? Nur eines scheint klar: Wenn Puigdemont den Preis zu hoch treibt, dürfte auch Sánchez mit einer Regierungsbildung scheitern. Und dann stünde Spanien nach den Wahlen wieder vor den Wahlen – weil die Bürger erneut zu den Urnen gerufen werden müssten.
Angesichts dieser schwierigen Lage der Nation fragt man sich schon, warum die beiden großen spanischen Traditionsparteien, Sozialdemokraten und Konservative, nicht mal auf die Idee kommen, mit Gemeinsamkeit statt mit Grabenkämpfen die Probleme des Landes zu lösen. Mit einer großen Koalition der Mitte zum Beispiel.
Stattdessen bevorzugen die beiden Parteiführer Sánchez und Feijóo, sich mit Parteien am linken und rechten Rand zusammenzutun. Oder sich den eigenwilligen baskischen und katalanischen Regionalparteien anzudienen, die dies schamlos ausnutzen und immer neue Privilegien für ihre Territorien herausschlagen.
Neue Chance für Sánchez
Herausforderungen für einen großen überparteilichen Staatspakt gibt es in Spanien genug: Die Arbeitslosigkeit zum Beispiel, die im Land mit 12,7 Prozent immer noch so groß ist wie in keinem anderen EU-Land. Auch bei der Jugendarbeitslosigkeit der unter 25-Jährigen ist Spanien mit 28,4 Prozent europäisches Schlusslicht.
Oder die staatliche Gesamtverschuldung, die nach den Ausgabekraftakten der Pandemie, des Ukraine-Krieges und der Energiekrise explodierte und nun 113 Prozent des Bruttoinlandsproduktes beträgt. Nur Griechenland, Italien und Portugal stehen in der EU noch schlechter da.
Das staatliche Gesundheitssystem, die öffentliche Rentenkasse, Schulen und Unis und die Forschung pfeifen aus dem letzten Loch. Durchweg weil strukturelle Reformen, Geldmittel und politischer Konsens fehlen, um endlich einmal und dauerhaft die großen Probleme des Landes anzupacken.
Trotz des politischen Dauer-Hickhacks in Spanien hat die Mitte-links-Regierung von Sánchez immer noch eine recht erfreuliche Bilanz vorweisen: Die Wirtschaft wächst überdurchschnittlich, die Inflation ist mit derzeit 1,6 Prozent überraschend niedrig, die Mindestlöhne stiegen in der bisher fünfjährigen Amtszeit von Sánchez um nahezu 50 Prozent.
Das kann sich sehen lassen. Und dies hat zweifellos auch dazu beigetragen, dass Sánchez in dieser Schicksalswahl nicht die erwartete Schlappe erlitt. Sondern dass er nun doch noch eine neue Chance bekam.
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