Kommentar / Macron hat zu hoch gepokert
Der Sieg des rechtsextremen Rassemblement national (RN) in der ersten Runde der vorgezogenen Parlamentswahl überrascht nicht. Die Prognosen hatten die Partei von Jordan Bardella und Marine Le Pen deutlich vor dem Linksbündnis Nouveau Front populaire und noch deutlicher vor dem Bündnis Ensemble pour la République um Präsident Emmanuel Macron gesehen. Eher überraschend ist die hohe Wahlbeteiligung, die deutlich höher liegt als jene bei den Parlamentswahlen vor zwei Jahren.
Damit ist Macrons Rechnung zumindest vorerst nicht aufgegangen, nach den für sein Lager bereits verloren gegangenen Europawahlen für Klarheit zu sorgen und das politische Ruder herumzureißen. Mittlerweile ist von Aufruhr die Rede, von einer „Crépuscule de la macronie“ schrieb am Sonntag die Libération über den Weg „von der Disruption zur Zerstörung“. Sieben Jahre nach seiner triumphalen Eroberung des Elysée-Palastes steht der Präsident vor einem Scherbenhaufen. Macron sei schon immer ein Provokateur gewesen, sagte der Journalist Alain Duhamel, der Präsident gehe wie kaum ein anderer Politiker Risiken ein. Zwei Bücher hat Duhamel Macron gewidmet – eines davon heißt „Emmanuel le Hardi“ (der Kühne). Diesmal könnte der Schuss aber endgültig nach hinten losgegangen sein. Duhamel befürchtet die größte politische Krise Frankreichs seit einem halben Jahrhundert.
Die extreme Rechte sieht sogar die Chance auf eine (vielleicht sogar absolute) Mehrheit in der Nationalversammlung gekommen – und damit auf den Posten des Premierministers. Die endgültige Entscheidung wird in vielen Wahlkreisen die Stichwahl am kommenden Sonntag bringen. RN-Parteichef Bardella könnte Premierminister werden. Frankreich stünde eine „Cohabitation“ bevor, wenn Präsident und Premierminister aus zwei unterschiedlichen Lagern kommen, so wie einst zwischen François Mitterrand und Jacques Chirac (1986-1988), Mitterrand und Edouard Balladur (1993-1995) sowie Chirac und Lionel Jospin (1997-2002).
Wenn Macrons Poker einen positiven (Neben-)Effekt haben sollte, dann dass sich in kürzester Zeit das Linksbündnis aus Sozialisten, Kommunisten, Grünen und La France insoumise gebildet hat – und auch einen Regierungswechsel anstrebt. Bezeichnend auch hier die Libération, die zur Generalmobilmachung aufrief – gegen den Rassemblement national.
- Teufelspakt: EVP einig mit Rechtsextremen - 19. November 2024.
- Der schlafende Riese – Zwischen Aufbruch und neuen Abhängigkeiten - 18. November 2024.
- Unter Strom: Höchstspannungsleitung an deutsch-luxemburgischer Grenze nimmt Konturen an - 12. November 2024.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können.
Melden sie sich an
Registrieren Sie sich kostenlos