Forum / Der lange Weg zur gleichberechtigten Wahl
1893 erlangten zuerst die Neuseeländerinnen das Wahlrecht. Es folgten die Australierinnen, die Finninnen, die Britinnen und Deutsche. 1919 führte auch Luxemburg das allgemeine Wahlrecht ein, früher als etwa Frankreich, wo dies erst am 21. April 1944 eingeführt wurde. Doch in Luxemburg konnten verheiratete Frauen bis 1995 ihre Stimme nur unter dem Namen ihres Mannes abgeben. Auch wenn diese Regelung internationales Recht sowie unsere Verfassung verletzte, scheiterte eine Reform an den Konservativen.
Wahlrecht für Frauen
„Le rôle de la femme peut se définir d’un mot: elle a le gouvernement domestique“: Mit unter anderem diesen Worten versuchte der liberale Abgeordnete Robert Brasseur am 8. Mai 1919 im luxemburgischen Parlament die Einführung des allgemeinen aktiven und passiven Wahlrechts für (Männer und) Frauen zu verhindern.
Während dieser Parlamentsdebatten traten sowohl die Rechtspartei als auch die sozialistische Partei klar für das Frauenwahlrecht ein. Die Liberalen stemmten sich bis zum Schluss gegen das Frauenwahlrecht, da sie vor allem aus wahltaktischen Überlegungen befürchteten, dass die Rechtspartei über die Katholische Kirche und dank des neuen Frauenwahlrechts massiv an Stimmen zulegen würde.
Um das Ablehnen seiner Partei zu begründen, wies der liberale Abgeordnete Robert Brasseur zuerst den Frauen ihren Platz in der Gesellschaft zu: „Le rôle de la femme peut se définir d’un mot: elle a le gouvernement domestique […] la femme administre, conserve, prend soin des enfants et se consacre au gouvernement intérieur. C’est ainsi du moins que le rôle respectif des époux a été compris depuis que le monde est monde par toutes les sociétés civilisées“, ehe er noch kurzerhand das logische Denken der Frauen infrage stellte und die Gehirnvolumentheorie bemühte, wonach das Gehirn des Mannes schwerer als das der Frau und daher auch effizienter sei.1)
Auf diesen Macho-Kauderwelsch erwiderte der Abgeordnete Auguste Thorn: „Si on mesurait le cerveau des hommes il y en aurait peut-être beaucoup qui seraient exclus [du droit de vote].“2)
Bei den anschließenden Wahlen vom 26. Oktober 1919 kandidierten nur vier Politikerinnen: drei auf der Liste der Sozialisten und eine auf der Liste der Rechtspartei. Im Wahlbezirk Zentrum wurde die Sozialistin Marguerite Thomas-Clement als erste und einzige Frau ins Parlament gewählt. Sie blieb bis 1931 die einzige Abgeordnete. Von 1931 bis 1965 ähnelte das luxemburgische Parlament wieder einem Altherrenklub, welcher zwar vorgab, die Interessen der gesamten Gesellschaft zu vertreten, jedoch einer Hälfte dieser Gesellschaft – den Frauen – nur die parlamentarische Zuschauerrolle zuschusterte.
Die Einführung des Frauenwahlrechts erforderte mehrere Detailänderungen im Wahlverfahren. Aus diesem Grund wurde 1922 ein Gesetzentwurf zur Änderung des Wahlgesetzes eingebracht: „La question devait se poser de savoir si les femmes mariées seraient inscrites [sur les listes électorales] sous leur propre nom de famille ou sous celui de leur mari. On a opté pour cette dernière version. En effet, une fois mariée, la femme porte en droit le nom de son époux.“3) Das Gesetz vom 31. Juli 1924 hielt im Artikel 9, Abs. 2 fest: „Les femmes mariées et les veuves sont inscrites sous le nom de famille de leur mari, suivi du nom de famille et du prénom de l’épouse.“
Ein Rechtsfehler, der erst über 70 Jahre später behoben wurde.
Unter welchem Namen wählen die Frauen?
Der Wechsel des Namens bei der Heirat ist ein verbliebenes Zeichen „einer eherechtlichen Philosophie, in der die Frau bei der Heirat wieder zu einem unmündigen Wesen wird, das auf den Schutz des Mannes angewiesen ist und diesem Gehorsam schuldet“4). Dass der bedeutende demokratische Akt der Stimmabgabe qua Gesetz für verheiratete Frauen nur unter dem Namen ihres Mannes möglich war, war eine gesetzliche Demütigung, deren Abschaffung auf heftigen konservativen Widerstand stieß.
Als Luxemburg 1988 das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (Cedaw) ratifizierte, brachte Anne Brasseur am 2. März 1988 einen Gesetzvorschlag ins Parlament ein. Dieser sah die Streichung von Artikel 9, Abs. 2 des Wahlgesetzes vom 31. Juli 1924 vor, da dieser Passus gegen den Geist aller Übereinkommen zur Beseitigung der Diskriminierung von Frauen verstoße5).
Sämtliche juristische Gutachten6) sprachen sich für diese Gesetzesänderung aus. In seinem „avis personnel“7) urteilte der damalige Justizminister Robert Krieps: „[…] d’après notre législation, datant du 6 fructidor an II [23 août 1794] aucun citoyen ne peut porter de nom, ni de prénom, autres que ceux exprimés dans son acte de naissance […]“ und „[L]e principe de l’égalité de l’homme et de la femme, qui se dégage de notre législation et qui a pour conséquence logique que chacun des époux garde son nom de famille au moment du mariage“8) sprächen auch für die Streichung des Artikels 9, Abs. 2 des Wahlgesetzes vom 31. Juli 1924.
Doch am 2. Dezember 1988 durchkreuzte Innenminister Jean Spautz in seinem Gutachten die Hoffnung einer schnellen Gesetzesänderung, in dem er „unüberwindbare“ praktische Probleme beschrieb, die gegen jene Gesetzesänderung sprächen: „[…] il se pourra qu’à l’avenir deux époux doivent se rendre à deux endroits différents et, le cas échéant, assez éloignés l’un de l’autre pour exprimer leur voter“ oder „la remise des lettres de convocation aux électeurs s’avère plus compliquée du fait que le nom du mari ne sera plus mentionnée pour les femmes mariées et les veuves, alors que toutefois l’indication du nom près des sonnettes des habitions sur les boites aux lettres se limite souvent au nom de famille du mari“. Außerdem sei es nicht möglich, die Wählerlisten vor den Wahlen im Jahr 1989 anzupassen9).
Doch der Gesetzvorschlag geriet „auf den hinhaltenden, streckenweise sogar hinterhältigen Widerstand des konservativen Klüngels der CSV“10) und es dauerte Jahre bis die punktuelle Reform des Wahlgesetzes, an und für sich eine Selbstverständlichkeit, umgesetzt werden konnte.
Vor den Gemeindewahlen im Oktober 1993 klagten Louise Michael, Gaby Urbé und Dany Gaasch vor den Friedensgerichten in Diekirch, Luxemburg und Esch/Alzette. Während sich das Friedensgericht in Diekirch als nicht kompetent erklärte11), um den Rekurs zu analysieren, gab das Friedensgericht in Luxemburg am 4. Oktober 1993 Frau Urbé recht: Artikel 9, Abs. 2 des Wahlgesetzes vom 31. Juli 1924, der festhält, dass verheiratete Frauen unter dem Familiennamen ihres Ehemanns auf der Wählerliste figurieren, sei eine Diskriminierung der Frau und verstoße u.a. gegen Artikel 11 des Grundgesetzes, der die Gleichheit aller Bürger festhält. Auf diese Weise wurde die Klägerin, Frau Urbé, unter ihrem einzigen und wahren Familiennamen bei den Kommunalwahlen am 10. Oktober 1993 in den Wählerlisten registriert, und dies nur sechs Tage, nachdem das Urteil fiel.12)
Nach diesen Urteilen informierte die Gemeinde Beckerich alle Wählerinnen darüber, dass sie jetzt unter ihrem Namen in den Wählerlisten eingeschrieben seien. Dies wiederum rief eine Reaktion des Innenministers hervor, der erklärte, dass er diese Entscheidung der Gemeinde Beckerich nicht billigen könne. Im Zuge der öffentlichen Debatte reichten einige Frauen bei ihren Gemeinden Beschwerden ein. Die Stadt Luxemburg gab den Anträgen verheirateter Frauen, unter ihren Namen in die Wählerlisten eingetragen zu werden, auf der Grundlage der Rechtsprechung statt, während andere Gemeinden, beispielsweise Niederanven, solche Anträge als unbegründet ablehnten.13)
Am 19. Januar 1994 brachte der damalige Innenminister Jean Spautz einen Gesetzentwurf ins Parlament, der vorsah, dass Artikel 9, Abs. 2 des Wahlgesetzes vom 31. Juli 1924 beibehalten und ein neuer Abs. 3 hinzugefügt wird. Der neue Absatz sah vor, dass verheiratete Frauen und Witwen beim Bürgermeister und Schöffenrat beantragen könnten, unter ihrem eigenen Namen auf die Wählerlisten eingeschrieben zu werden. Am 24. Februar 1994 schrieb der Staatsrat in seinem Gutachten: „le Conseil d’Etat ne saurait d’aucune façon marquer son accord avec la modification proposée“.
Nach gut sechs Jahren politischem Versteck- und Ping-Pong-Spiel, in dem sich vor allem die CSV und ihr Innenminister Jean Spautz einer Änderung, mit Hinweis auf die traditionellen Gepflogenheiten, widersetzten, rang sich das Parlament zu einem Kompromiss durch und ein Konsenstext wurde geschnürt, laut dem die verheirateten Wählerinnen unter ihrem eigenen Namen auf den Wählerlisten geführt werden, aber auf Wunsch den Zusatz „époux ou épouse de“ bzw. „veuf ou veuve de“ beantragen können.
Doch auch in der Sitzung vom 12. Juli 1995 „versuchte Lucien Weiler von der CSV nochmals diesen Konsenstext, der eigentlich einer Selbstverständlichkeit entspricht, noch zu kippen. In einem Änderungsantrag […] forderte er, Frauen die freie Wahl zu lassen, welchen Namen sie nach der Heirat tragen möchten“14).
Beide geschichtsträchtige Änderungen zeigen aber, wie Journalist Jean-Marie Meyer im Zuge des Namensstreits anmerkte: „Auch in unserem politischen Mikrokosmos zählen die Patriarchen zu einer besonders zählebigen Sorte Lebewesen.“15)
1) Germaine Goetzinger, Antoinette Lorang, Renée Wagner, „Wenn nun wir Frauen auch das Wort ergreifen… – Frauen in Luxemburg 1880-1950“, Luxemburg, ministère de la Culture, 1997, S. 90.
2) Jeanne Rouff, „Electrices depuis 75 ans, égales en droit depuis 20 ans et aujourd’hui?“, d’Lëtzeburger Land, 18. März 1994, S. 10.
3) doc. parl. 1923-24, S. 230.
4) Renée Wagner, „Eine kleine, banale Entscheidung“, d’Lëtzebuerger Land, 14. Juli 1995, S. 2.
5) cf. Proposition de loi n° 3177 portant modification de la loi électorale, doc. parl. n° 3177/1.
6) cf. Avis du Parquet du Tribunal d’arrondissement de Diekirch, 21. April 1988; Avis du Parquet du Tribunal d’arrondissement de Luxembourg, 10. November 1988; Avis du Parquet général, 15. November 1988 in doc. parl. 3177/2, S. 2.
7) cf. Rapport pour Avis de la Commission juridique, 16. Mäerz 1994, doc. parl. 3177/3, S. 1.
8) Avis du ministre de la Justice, 30. November 1988, doc. parl. 3177/2, S. 3.
9) Avis du ministre de l’Intérieur, 2. Dezember 1988, doc. parl. 3177/2, S. 4.
10) Jean-Marie Meyer: „Schlußvorstellung“, d’Lëtzeburger Land, 22. Juni 1995, S. 1.
11) Tribunal de paix de Diekirch, 20. September 1993.
12) Auch das Friedensgericht in Esch/Alzette urteilte am 25. Oktober 1993, dass die Wählerlisten dahingehend berichtigt werden müssen, dass die Klägerinnen nur unter ihrem Familiennamen einzutragen sind.
13) Rapport de la Commission des Institutions et de la Révision constitutionnelle, 6. Juli 1995, doc. parl. 3177/6, S. 3.
14) Tageblatt, „Schlusspunkt unter endlosen Namensstreit“, 13. Juli 1995.
15) Jean-Marie Meyer, op. cit.
Liz Braz, Danielle Filbig, Michaela Morrisova und Max Leners sind Mitglieder der LSAP.
Die letzten Frauen die in Europa das Wahlrecht bekamen ,waren 1984 die Liechtensteinerinen , .
Die Rechtspartei hatte gute Gründe, sich FÜR das Frauenwahlrecht einzusetzen, denn 1919 fand auch ein Referendum über die luxemburgische Staatsform statt: Während die Liberalen auf eine Republik hofften, rechneten die Konservativen damit, dass die Stimmen der romantisch veranlagten Frauen sich für das Beibehalten der Monarchie aussprechen würden. Die Rechnung ging ja dann auch auf. Ohne diesen Druck hätten die luxemburgischen Frauen wohl noch lange auf ihr Wahlrecht warten müssen.