Editorial / Atomkraft? Ja, nein, vielleicht: eine alte Debatte in neuem rhetorischen Gewand
Sie erlebt gerade ein unwahrscheinliches Comeback. Zumindest in einigen Ländern Europas. In Frankreich hat man sie immer geliebt. Anderswo ging es mit ihrer Karriere seit den Achtzigern bergab. Zu viele Skandale, schlechte Presse. Auf einmal war sie nicht mehr das Versprechen einer besseren Zukunft, sondern eine Gefahr. In Luxemburg war man sich einig. Spätestens als sie nach Remerschen kommen sollte. Ende der Siebziger war das, die Leute wollten sie nicht haben. In Deutschland hat man länger gezögert. Auch hier gab es Proteste gegen sie. Aber sich so richtig lossagen von ihr, das konnte man erst, als sie wieder einen Riesenskandal fabrizierte. 2011, die Sache in Japan.
Vergeben und vergessen. Jetzt ist sie wieder da: die Atomkraft.
Premierminister Luc Frieden (CSV) hat vergangenen Donnerstag beim ersten internationalen Gipfeltreffen für Atomenergie in Brüssel das Thema Kernenergie zurück auf den luxemburgischen Plan gehoben – und damit mit einem jahrzehntealten gesellschaftlichen Konsens gebrochen. Wenn man von fossilen Energien wegkommen wolle, so der Premier, werde in Zukunft ein großer Teil der Energie in Europa aus Atomkraft stammen. Man müsse die Nuklearforschung unterstützen, auch mit europäischen Mitteln. Zwar soll es keine Atomkraftwerke auf luxemburgischem Boden oder in direkter Grenznähe geben, man sei aber „technologieoffen“, was die Zukunft der Entwicklung der Nuklearenergie angehe. Das Thema solle „weniger ideologisch“ betrachtet werden, so Frieden.
War der Protest gegen Atomenergie einst ikonischer Moment europäischer Popkultur, so scheint Kernkraft heute wieder hip. In Brüssel beschlossen 30 Staaten, sich für Ausbau und Finanzierung von Atomkraftwerken einzusetzen. Bei der UN-Klimakonferenz in Dubai im vergangenen Jahr kündigten 20 Staaten an, ihre Kernenergie-Kapazitäten bis 2050 zu verdreifachen. In der EU betreiben zwölf der 27 Mitgliedstaaten Atomkraftwerke, angeführt wird die Pro-Atom-Allianz von Frankreich, das neue Reaktoren baut. Belgien und die Niederlande haben ihre ursprünglichen Ausstiegspläne aufgehoben bzw. verschoben. Polen plant den Einstieg in die Atomenergie. Allein Deutschland hat vor einem Jahr die letzten Meiler vom Netz genommen – nach einer kurzen Verlängerung wegen Ukraine-Krieg und Energiekrise. Das Atomaus ist endgültig. Oder? Schon heute fordern CDU und CSU eine Renaissance der Atomkraft und neue Reaktoren. In dieser Nachbarschaft klingen Luc Friedens vorsichtige Äußerungen nicht nach dramatischem Kurswechsel. Einerseits. Andererseits bereitet seine Wortwahl aber genau diesen vor. „Weniger ideologisch“ und „technologieoffen“. Das sind neoliberale Zeitgeist-Vokabeln für den „business-friendly turn“, gegen staatliche (Über-)Regulierung. Egal, ob KI, Atom oder Finanzplatz.
Allein: Nichts hat sich geändert. Die Nuklearenergie von morgen sei nicht die gleiche wie vor 30 oder 40 Jahren, sagt Frieden. „Wer heute Euphorien in Verbindung mit alternativen Reaktorkonzepten weckt, blendet offene Fragen und Sicherheitsrisiken aus. Kein alternativer Reaktortyp würde ein Endlager überflüssig machen“, sagt Christian Kühn, Präsident des deutschen Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung. Die alten Probleme sind immer noch die alten Probleme. Endlagerung, teure Kraftwerke, der Import von Uran. Es ist die alte Debatte in neuem rhetorischen Gewand. Die Wette auf eine Technologie der Zukunft ist genau das: eine Wette auf eine Technologie, die heute noch nicht existiert. Das zu kritisieren, ist weder ideologisch noch technologieskeptisch, sondern schlicht faktentreu und wissenschaftlich fundiert.
Man hatte gehofft, die Atomkraft sei endgültig vom Tisch bzw. würde nach und nach verschwinden, zumindest bis auf den Müll, der noch Jahrtausende lang ein Problem sein wird.
Stattdessen will man wegen einer angeblich menschengemachten Klimaerwärmung die relativ harmlosen fossilen Brennstoffe im Hauruck-Verfahren verbieten und uns wieder mit dem Alptraum Atomkraft belasten.
„Wenn der letzte Fisch gefangen,der letzte Vogel geflogen,der letzte Baum gefällt,der letzte Indianer erschossen etc. etc.“ Man kennt den Spruch. So wie wir bald genmanipulierte Pflanzen auf dem Tisch haben werden,so wird die Atomkraft uns über die Krisenzeiten bringen. Ein Blackout in Großstädten ist undenkbar aber nicht unmöglich. Wer das Klima retten will kann es sich nicht leisten auf moderne AKW’s zu verzichten. Habeck & Co und seine ebenso gewichtige wie tönende Parteivorsitzende leben in einer erneuerbaren Traumwelt. Es geht um CO2 und Erwärmung.DAS hat Vorrang,da ist ein Rest an Atommüll das geringere Problem.Ein Problem das auch beseitigt werden kann durch moderne Aufbereitung. Bis ITER ( Kernfusion)funktioniert bleibt uns überhaupt keine Wahl. In 5 Mia Jahren wird die Sonne unsere Erde verschlingen.Aber das ist ja noch etwas hin….und es gilt der Satz von Bob Dylan: “ …you’d better swim or you sink like a stone…“
Zum mitschreiben , Fukushima war kein Reaktorunfall sondern ein Tsunami .Dass Mutti 2011 den Ausstieg aus der Atomkraft beschloss , war der Politique politicienne geschuldet ,weil die CDU nach der Fukushimahysterie ihre Felle zu Gunsten der Gruenen davonschwimmen sah . Aus diesem Grunde muessen die umweltfreundlischen Kohlekraftwerke laenger am Netz bleiben . Uebrigens ,die Japaner haben nicht mal im Traum daran gedacht nach Fukushima aus der Atomkraft auszusteigen .
Fände es gut wenn der Staat jedem größeren Neubauprojekt eine Solaranlege mit anhängender Wasserstoffaufbereitungsanlage verordnen würde und vielleicht auch mitfinanzieren könnte.
Es funktioniert nämlich.
@smilla,
genau so. Und Tchernobyl war auch hausgemachtes Chaos. Eine Ersatzmannschaft spielt den Ernstfall mit einer maroden Anlage durch und fällt auf die Schnauze. Ein AKW ist eine ernste Sache und Unterhalt aus Kostengründen vernachlässigen wird unweigerlich bestraft.
Es sollen zwar „keine Atomkraftwerke auf luxemburgischem Boden oder in direkter Grenznähe geben, man sei aber „technologieoffen“, was die Zukunft der Entwicklung der Nuklearenergie angehe“.
Klingt irgendwie nach ziemlich unglaubwürdigem NIMBY-Mindset (also „Not In My BackYard“), was bei unserem Premier de(s) classe(s) nicht überrascht.
Das AKW sollte einst in Remerschen gebaut werden.Nach großem Tohuwabohu steht es jetzt in Cattenom. Dass wir auch AKW-Strom verbraten in unseren Ladestationen für unsere E-Autos und Smartphones ist doch gewusst,oder? Ja sogar aus Kohlekraftw. kommt der Saft. Das regelt das europäische Energienetz.Ganz Europa ist vernetzt,soll heißen wenn irgendwo,sagen wir in Luxemburg ein Leistungsabfall kommt,dann wird aus dem Ausland zugespeist.(Frankreich,Polen usw.) Indes können wir uns täglich den Heiligenschein der Klimaretter vorhalten. Der Glaube versetzt Berge aber er bringt keine Glühbirne zum Leuchten.
@ Düsentrieb : Erklären Sie das nun einmal unserer Regierung. Denn wie es scheint, ist dieselbe in der Zwischenzeit wieder ganz klar gegen Atomkraft, und der Chef behauptet sogar, sein Sagen hätte auf Luxemburgs Politik keinen Einfluss.
Es ist wirklich bald nicht mehr zum Aushalten in diesem Land. Anscheinend gibt es noch sehr billige Bauplätze in Japan (Fukushima), in den USA (Harrisburg) oder der Ukraine (Tschernobil) Obwohl : bei Letzterem ist man nun doch auf sehr unsicherem Terrain.
@JJ: zu bemerken wäre dazu auch, dass sich Tschernobyl im aktuellen Kriegsgebiet der Ukraine liegt.
Die russische Besetzung des ebenfalls ukrainischen und noch aktiven KKW’s in Zaporija kann man nicht als hausgemacht ausweisen, ausser man wirft der Ukraine vor, sich nicht zu unterwerfen.
Inwieweit kann man sich noch gegen einen kriegerischen Agressor wehren, wenn man in seinem Land Kernkraftwerke betreibt?
Und sollte man sich – damit, wie Sie es ausdrücken, die Lichter nicht ausgehen – nicht gleich den Großmächten bedingungslos unterwerfen?
Die Kernkraftwerke sind – mitsamt ihres strahlenden Mülls – unter vielen Gesichtspunkten , jedes für sich, auch eine kollossale geopolitische Zeitbombe, und riskieren unser vielgelobtes ‚ Siècle des lumières‘ definitif in tiefe Dunkelheit und Schande zu befördern.