Kunstecke / „Exchange“ das Tor zur Europastadt
Letzte Woche kam die Nachricht vom Tod des Bildhauers und Ausnahmekünstlers Richard Serra. Er ist der Schöpfer der Plastik „Exchange“ auf Kirchberg, sozusagen des Tors zur Stadt, wenn man von Trier über die Schnellstraße nach Luxemburg kommt. Unabhängig von seinem Tod kündigten die Verantwortlichen der Luxembourg Art Week an, der Skulptur im öffentlichen Raum werde auch bei der Jubiläumsausgabe 2024 besondere Aufmerksamkeit geschenkt.
In Luxemburg haben Skulpturen im öffentlichen Raum seit Jahren ihren Platz, auch wenn die Standorte nicht immer optimal gewählt sind. Die Luxembourg Art Week (LAW) dehnt ihre Ausstellungsplattform unter dem Zelt seit einigen Jahren aus und hat in Zusammenarbeit mit Partnern temporär Skulpturen aufgestellt. Diese sind meist einem Künstler gewidmet. 2023 war es eine Auswahl mit Werken des Atelier Van Lieshout. Für die Jubiläumsausgabe – LAW feiert dieses Jahr das zehnte Jubiläum – sollen es Arbeiten verschiedener Bildhauer sein. Kandidaturen, auch heimische, sind bis Ende Mai willkommen. Nach dem im Rahmen des Kulturjahres Esch 2022 gelegten Skulpturen-Weg in der Minette-Metropole dürfte es nun interessant sein, die LAW-Gewichtung zwischen einheimischen und ausländischen Bildhauern zu sehen.
Schwierige Bedingungen
Wer jedoch gerne gleich konzentriert Skulpturen im öffentlichen Raum in Augenschein nehmen möchte, dem sei eine Promenade auf Kirchberg empfohlen. Hier wimmelt es im Vorgarten manch pompöser Bankgebäude und anderer Immobilien von Skulpturen. Richard Serra, dem man 1996 die Aufgabe auferlegte, ein Werk für den Kreisel, der die Autobahn Trier-Luxemburg mit dem Boulevard J.F. Kennedy und anderen Straßen verbinden sollte, zu schaffen, beklagte sich über diese eher traurige Situation und versprach Abhilfe mit seiner Plastik. Der damalige Kirchberg-Planer Fernand Pesch fasste Serras Sicht so zusammen: „Über die Sublimierung des Moments der Geschwindigkeit hinaus ist Serra mit diesem eigens für Luxemburg entwickelten Kunstwerk in einen immer währenden Dialog mit der Altstadt getreten, deren Türme nur wenige Kilometer Luftlinie entfernt in den Himmel ragen, und hat damit die tausendjährige Geschichte unserer Stadt in einen neuen Bezug zu der zeitgenössischen Kunst gesetzt.“ 1)
In einem offenen Gespräch zwischen Enrico Lunghi und Richard Serra ist letzterer noch während der Bauarbeiten seiner Skulptur auf die nicht eben günstigen Gegebenheiten vor Ort eingegangen und hat spezielle, zu beachtende Bedingungen erörtert, etwa ein Strommast am Rand des Kreisverkehrs, einige weiter entfernte Gebäude, sowie die notwendige Orientierung der Öffnung zur Autobahn und die Tatsache, dass man unter der Skulptur hindurchfahren kann. Er befürchtete damals, seiner Skulptur würde das gleiche Schicksal widerfahren können, das andere Werke angesagter Bildhauer auf dem Plateau Kirchberg, die von ihren „Gebäuden“ erdrückt würden, erleiden mussten. Dank seiner Erfahrung und umsichtigen Planung mit den Stahlplatten, die rund zwanzig Meter in die Höhe ragen und in bestimmter Konstellation aufgestellt sind, gelang es ihm, diese Hürden zu überwinden. „Exchange“ interagiert mit ihrer Umgebung.
In besagtem Interview2) geht auch von „sozialen und politischen Stellungnahmen“ seiner Werke die Rede, genauso werden die „massive Materialität und ihre scheinbare Instabilität“ sowie „bedrohliche Wirkung“ angesprochen, doch Serra konterte vor Bauende: „Wenn sie (die Skulptur) vollständig installiert ist, wird sie, wie ich glaube, durch ihr steiles Emporragen und ihre Eleganz eher eine gewisse Leichtigkeit haben“.
Die Plastik „Exchange“, passend zu ihrer Errichtung an einem „Durchgangsort“, ist stabil und sicher dank ihrer ausgeklügelten Balance, die anhand von vier Modellen erarbeitet und überprüft wurde, sowie nachträglich durch entsprechende Schweißarbeiten gefestigt wurde. Sie prägt seit 1996 diesen enigmatischen Platz am oberen Eingang zum Europa- und Bankenviertel Kirchberg.
Vom Arbeiter zum Stahlkünstler
Richard Serra, am 2. November 1938 als Sohn einer jüdisch-russischen Mutter und eines spanischen Vaters in San Francisco geboren, wuchs in einer Arbeiterfamilie auf. War der Vater Werftarbeiter, so werkelte der junge Richard in einem Stahlwerk, um sich seinen „Lebensunterhalt“ zu verdienen. Studium der Literatur in Berkeley – sein Kunststudium in Yale brachte ihn in Kontakt mit Josef Albers, Meister der Farbquadrat-Malerei. Nach dem Studium zog es ihn bald nach Europa, wo er seine Liebe zur Bildhauerei entdeckte. Mit dem Material Stahl vertraut, wandte er sich diesem Werkstoff Ende der 60er Jahre zu, war fasziniert vom Minimalismus und animiert von der Idee, dass Kunst nicht von einer „Formensprache“ bewegt werde, sondern „die Form des Materials durch eine Veränderung manipuliert werden konnte“ (dixit Tappeiner/WDR, 2005).
Serra lotete in den 60er Jahren erst Film und Video aus, nutzte Blei, Plastik und fand 1966 zu seiner ersten Einzelausstellung in Rom. Es folgten unzählige Etappen, Begegnungen mit renommierten Künstlern. Er nutzte diverse Materialien, ab 1970 beschäftigte er sich mit der „Geometrie der Plätze“ und der „Anlage als Ganzes“. So entstand in Tokio 1970 „To Encircle Base Plate Hexagram“ und „Spoleto-Circles“ 1972, ein „in den Boden eingelassener Kreisplan“. Anfang der 70er Jahre ging er zu „begehbaren Großplastiken“ im öffentlichen Raum über. Höhepunkt war 1977 das Werk „Terminal“ bei der documenta 6 in Kassel, Kultschau an der er mehrere Male teilnahm. Die Plastik wurde später „unter Protest“ vor dem Hauptbahnhof in Bochum installiert. Ähnlich erging es einem Werk in New York, das zwar aufgestellt, später aber wieder entfernt werden musste. Auch für das Holocaust-Mahnmal in Berlin hatte er ein Projekt entworfen, doch zog er sich nach Differenzen mit seinen Partnern zurück. 2005 realisierte er für das Guggenheim Museum Bilbao die monumentale begehbare Installation „The Matter of Time“, die aus acht tonnenschweren Stahlskulpturen besteht. 2007 wählte ihn das Kunstmagazin ArtReview auf den 19. Platz der hundert einflussreichsten Vertreter der zeitgenössischen Kunst.
Ein exzentrischer Stahl-Flüsterer
Richard Serra erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Kaiserring der Stadt Goslar, ist in manchen Sammlungen präsent und zeigt sein Können vor allem mit markanten monumentalen Skulpturen im öffentlichen Raum. Von Stahlzylindern, Stahlblöcken und riesigen Platten, deren Oberfläche meist unbehandelt und der Korrosion ausgesetzt ist, kann bei der Beschreibung seiner Installationen, die sowohl massiv und schwer als auch von einer gewissen Leichtigkeit geprägt erscheinen, die Rede sein. Ihm geht es nicht nur um die Ästhetik und die Gestaltung der Außenansicht, vielmehr erforscht er das Innenleben seiner Werke und lässt das „Material“ sprechen. Experten vertreten die Ansicht, sein Œuvre sei wohl kaum mit „kunstgeschichtlichen Kategorie-Begriffen“ zu fassen. Neben Skulpturen umfasst dieses auch Malereien und Druckgrafiken, nicht nur aus seiner frühen Schaffenszeit.
Seine Werke alle aufzulisten, wäre müßig. Erwähnen wir neben den genannten Skulpturen noch „Viewpoint“ in Dillingen/Saar, ein 13 Meter breites und neun Meter hohes, stehendes und gebogenes Stahlband, „Intersections“ am Basler Theaterplatz, sowie die zwei ungewöhnlichen Arbeiten „7“ im Park des Museums of Islamic Art in Doha, der Hauptstadt von Katar, sowie „East-West/West-East“, eine 2014 eingerichtete Plastik in Form von vier riesigen Stahlplatten, die über eine Strecke von einem Kilometer verteilt in der Wüste im Naturreservat Brouq aufgestellt sind. Über Serra wurde viel geschrieben, Filme realisiert und Ausstellungen mit Fotos seiner Werke organisiert.
Richard Serra ist nun am 26. März in Orient, nahe New York, nach kurzer Krankheit verstorben. Er war ein „Stahlarbeiter“, wie ihn die einen nannten, für andere eher der „Poet des Eisens“. Sein Werk „Exchange“ steht triumphierend auf der Verkehrsinsel am Eingang zum Kirchberg. Ein Modell dieser Skulptur wird momentan in der Expo „Collections/Revelations“ im „Nationalmusée um Fëschmaart“ (MNAHA) ausgestellt.
1) Fernand Pesch „Richard Serra“ in „Luxembourg-Skulpturen“, Editions Ilôts, 2001.
2) Richard Serra – Enrico Lunghi „Die Erfahrung ist das Wesentliche“ in „Luxembourg-Skulpturen“, Editions Ilôts, 2001.
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