Deutschland / Nur ein Thesenpapier oder schon Ampel-Scheidungsurkunde?
Die FDP hat vor ihrem Parteitag ein Positionspapier verabschiedet, das für reichlich Krach im Ampel-Bündnis sorgt. Insbesondere die SPD äußert scharfe Kritik. Was es damit auf sich hat und ob es zu einem Koalitionsbruch kommen kann – ein Überblick.
Die FDP hat mit einem Positionspapier für einen heftigen Richtungsstreit in der Ampel-Koalition zum wirtschafts- und finanzpolitischen Kurs gesorgt. Das Präsidium der Liberalen verabschiedete am Montag in Berlin einen Beschluss mit zwölf Punkten „zur Beschleunigung der Wirtschaftswende“. Aus den Reihen des Koalitionspartners SPD hagelte es Kritik. Kann die Ampel-Koalition daran zerbrechen? Oder ist es übliche Parteirhetorik vor der Europawahl und dem FDP-Parteitag am kommenden Wochenende? Hier die Antworten auf die wichtigsten Fragen zum Streit.
Was steht im FDP-Papier, das SPD und Grüne so in Rage versetzt? Die zwölf Punkte sehen unter anderem vor, das Bürgergeld zu reformieren und Sanktionen für Empfänger zu verschärfen, die zumutbare Arbeit „ohne gewichtigen Grund“ ablehnen. Die abschlagsfreie Rente mit 63 für besonders lang Versicherte soll abgeschafft werden, ältere Menschen sollen mehr Arbeitsanreize bekommen. Auch spricht sich die FDP dafür aus, für mindestens drei Jahre keine neuen Sozialleistungen einzuführen. Bürokratie soll kontinuierlich abgebaut werden, Steuervorteile für Überstunden sollen kommen. Abgeschafft werden soll hingegen vollständig der Solidaritätszuschlag. Und die staatliche Förderung Erneuerbarer Energien soll schnellstmöglich beendet werden. Des Weiteren will die FDP das deutsche Lieferkettengesetz aussetzen, bis es durch das europäische Lieferkettengesetz ersetzt wird.
Welche Kritik gab es von den Ampel-Partnern? Die SPD wies die Inhalte des Papiers mit scharfen Worten zurück. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sprach am Montag von „Unsinn“, Parteichef Lars Klingbeil von einem Irrweg. Starke Wirtschaft und ein starker Sozialstaat würden aus SPD-Sicht zusammengehören, sagte Klingbeil dem Sender n-tv. Die SPD hatte jüngst ein eigenes Parteipapier mit zehn Punkten veröffentlicht. Klingbeil rief dazu auf, in einen Dialog einzutreten, um über Gemeinsamkeiten zu reden. Grünen-Chef Nouripour wollte die Pläne nicht bewerten und verwies auf den bevorstehenden FDP-Parteitag. Die Positionen der Liberalen seien nicht neu. „Die Koalition arbeitet und das wird sich nicht ändern, weil es Parteitagsbeschlüsse gibt.“ Nouripour verwies darauf, dass die Ampel-Koalition „sehr viel hinbekommen“ habe in dieser Legislaturperiode.
Wie rechtfertigt die FDP das Papier? FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai verteidigte den Zwölf-Punkte-Plan. Es seien eine ganze Reihe von Maßnahmen notwendig, um eine „Wirtschaftswende“ herbeizuführen. Ein Leitantrag zu dem Thema für den Bundesparteitag am Wochenende werde noch umfassender sein als das nun vorgelegte Papier, betonte Djir-Sarai. Es sei ihm klar, „dass der ein oder andere Koalitionspartner dies nicht auf Anhieb nachvollziehen kann“, sagte er mit Blick auf die heftige Kritik insbesondere aus der SPD. Der Generalsekretär betonte, die FDP habe Punkte formuliert, die „aus unserer Sicht notwendig und richtig sind“. Dazu habe jede Partei das Recht, insbesondere vor einem Parteitag.
Opposition fordert Neuwahl oder Koalitionsbruch
Wie verhält sich die Opposition? Linken-Chefin Janine Wissler sprach von einem „Dokument der sozialen Grausamkeit“, Sahra Wagenknecht (BSW) forderte Neuwahlen zum 1. September. „Die Scheidungspapiere der Ampel sind längst unterzeichnet. Aber für ein Trennungsjahr bis Ende 2025 hat das Land keine Zeit“, sagte sie am Montag. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann betonte hingegen inhaltliche Schnittmengen zwischen den Zielen seiner Partei und den FDP-Forderungen. Das FDP-Papier sei mit Blick auf deren Zugehörigkeit zur Regierung schon „ein außergewöhnlicher Vorgang“, sagte er in Berlin und forderte: „Entweder die FDP setzt sich durch oder sie sollte sagen: ,Wir verlassen diese Ampel-Koalition‘.“ Die Union sehe sich „vorbereitet auf eine Regierungsübernahme“, sagte Linnemann. Auch CSU-Chef Markus Söder forderte die FDP zum Koalitionsbruch auf.
Kann die Ampel-Koalition daran zerbrechen? Das ist zum aktuellen Zeitpunkt sehr unwahrscheinlich. Die FDP hätte keine Alternative zu einem Regierungswechsel und müsste bei Neuwahlen angesichts aktueller Umfragewerte das Ausscheiden aus dem Bundestag fürchten.
Kehrt also nach dem FDP-Parteitag Ruhe ein? Das ist ebenso unwahrscheinlich. Denn die FDP vertritt ihre Positionen innerhalb der Ampel-Koalition seit geraumer Zeit sehr offensiv. Und derzeit laufen im Hintergrund die ersten Abstimmungen für den nächsten Bundeshaushalt. Zudem wollen sich die Ampel-Partner auf ein Konzept zur Wirtschaftsförderung verständigen. Die Beratungen dazu sollen in einigen Wochen abgeschlossen sein. Die begleitende öffentliche Debatte dürfte angesichts dessen weitergehen – auch nach dem FDP-Parteitag.
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