Kommentar / „Das Fest der Schönheit“: Propaganda zählt bei Olympia mehr als historische Fakten
Geschichte ist nicht jedermanns Sache. Das scheint auch auf das Internationale Olympische Komitee zuzutreffen. Wobei es sich bei der Ringe-Organisation nicht so sehr um Unwissenheit als vielmehr um bewusste Ignoranz handelt, und das mit System. Genau ein Jahr vor der Eröffnung der Spiele in Tokio nutzte das IOC für seinen „Throwback Thursday“ ein kurzes Filmchen über die Nazi-Spiele von 1936 in Berlin: „Berlin 1936 markierte den ersten olympischen Fackellauf, der das Feuer zum Kessel brachte. Wir können es kaum erwarten, den nächsten in Japan zu sehen. #Strongertogether.“ Dass der Fackellauf den Nazis als Propaganda diente und die Strecke des Laufs von Joseph Goebbels festgelegt wurde, erwähnte das IOC nicht. Von historischer Einordnung scheinen Thomas Bach und Co. ohnehin nicht viel zu halten.
Der Post zum Throwback Thursday wurde einen Tag später gelöscht. Das hielt das IOC aber nicht davon ab, ein weiteres Werbevideo für „Tokyo 2020“ zusammenzustellen. Protagonistin im zweiminütigen Video, das auf YouTube zu finden ist, ist die 100-jährige fünffache Olympiasiegerin im Turnen Agnes Keleti. Im Video geht es um die Frage, was Keleti in 100 Jahren Olympia-Geschichte alles gesehen habe. Bilder des afroamerikanischen Leichtathleten Jesse Owens bei den Spielen ’36 werden mit den Worten kommentiert: „Sie sah die Enkel von Sklaven, wie sie Freiheit neu definierten.“ Man muss kein Geschichtsprofessor sein, um zu wissen, dass Freiheit nicht unbedingt ein Begriff ist, den man mit den Nazi-Spielen verbindet.
Dass Sportler damals aufgrund ihrer Herkunft nicht an Olympia teilnehmen durften, wurde ebenso wenig erwähnt wie die Tatsache, dass Keleti sich zwar für die Spiele 1940 qualifizierte, aufgrund ihres jüdischen Glaubens aber nicht hätte teilnehmen dürfen. Am Ende wurden die in Tokio geplanten Spiele ganz abgesagt. Keletis Vater und weitere Familienangehörige sind übrigens in Auschwitz ums Leben gekommen. Der Clip, den Großherzog Henri und die anderen IOC-Mitglieder – übrigens unter Applaus der Vollversammlung – auf der IOC-Session zu sehen bekamen, enthält einmal mehr Bildmaterial aus Leni Riefenstahls Propagandafilm „Das Fest der Schönheit“. Einordnung gibt es auch hier keine, vermutlich würde das einfach nur stören. Hauptsache, es gibt schöne Bilder, die sich vermarkten lassen. Was die Ignoranz betrifft, ist das IOC wenigstens konsequent. Für eine Organisation, die Völkerverständigung und friedliche Wettkämpfe als ihre Ideale betrachtet, ist es einfach nur beschämend.
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Historischer Fakt ist die Bilder des Attentates sind im Jahre 1972 in München in manch Köpfen von Zeitgenossen vergessen , die Motive der Attentäter rehabilitiert.
Nët pickuséiërt Olympësch Goldmeedailengewënner , daat kann nët sin , oder ?
Ein aussagestarkes schwarzweiss Foto von vor 85 Jahren, das mehr ausdrückt als ein ganzer Artikel.