Kommentar / Demokratie statt „Balkanisierung“
Die Freude über das Ende von Baschar al-Assad kann man den Syrern nicht verdenken. Mehr als ein halbes Jahrhundert haben sein Vater Hafiz al-Assad und er das Land diktatorisch regiert. Es war eines der stabilsten Regime – und zugleich eines der brutalsten. Und im syrischen Bürgerkrieg kamen etwa 600.000 Menschen ums Leben, mehr als sechs Millionen mussten ins Ausland fliehen.
Die relativ friedliche und reibungslose Einnahme der Hauptstadt Damaskus durch die Rebellen der Hayat Tahrir al-Sham (HTS) überrascht. Sie haben zwar eine Vergangenheit im militanten Islamismus und wurden schon als Terrororganisation eingestuft, doch das Bündnis mehrerer Milizen scheint Kreide gefressen zu haben. Trotzdem handelt es sich um Islamisten.
Syrien sei jedenfalls ein anderes Land, schreibt Karim El-Gawhary. Der deutsch-ägyptische Journalist warnt allerdings in einem Essay davor, dass die Zukunft des vom Krieg zerstörten Landes nun davon abhängen werde, „wie sich die verschiedenen regionalen Köche verhalten, die seit Jahren in der syrischen Küche ihre Süppchen kochen“. Neben Iran und Russland sind dies Israel und die Türkei. Letztere will möglichst schnell die Rückkehr der Millionen von syrischen Geflüchteten in ihr Heimatland. Und Jordanien hat seine Grenzen geschlossen, damit die Instabilität nicht ins Nachbarland übergreift.
Auch in der Europäischen Union wurde bereits laut über das Schicksal jener Syrer nachgedacht, die seit Beginn des Krieges 2011 und insbesondere während der Flüchtlingskrise nach Europa kamen. Von einer „Balkanisierung“ war die Rede, also bestimmte Teile eines Landes als sicher oder sicher genug einzustufen. In Deutschland etwa hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wegen der unklaren Lage zunächst alle Entscheidungen über Asylanträge von Syrern gestoppt.
Viele Geflüchtete können nicht mehr zurück, weil sie alles verloren haben, andere sind längst in ihrem neuen Umfeld integriert. In Luxemburg beantragten dieses Jahr bis September 175 Syrer internationalen Schutz, im vergangenen Jahr waren es 710 syrische Staatsbürger. Human Rights Watch warnte davor, sie nach Syrien zurückzuschicken. Das Land sei nicht sicher. Dies hat sich auch nach dem Sturz des Regimes nicht geändert.
Die EU ist momentan höchstens ein Zaungast im Spiel der Mächte um den Einfluss in Syrien. Dort müssen – neben dem wirtschaftlichen Wiederaufbau – überhaupt erst demokratische Institutionen und Strukturen geschaffen werden. Europa hat damit eine lange Erfahrung. Sie gilt es einzubringen.
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