Kinowoche / „L’ordine del tempo“: Wenn der Weltuntergang nicht schneller kommen könnte
Neben ihrem Ehrenlöwen präsentierte die Filmemacherin Liliana Cavani mit „L’ordine del tempo“ ein langersehntes filmisches Lebenszeichen. Die Kritiken aus Venedig fielen dann aber ernüchternd aus. Ist das berechtigt?
Es war eine Freude, als Alberto Barbera letzten Sommer verkündete, dass Liliana Cavani mit dem Ehrenlöwen ausgezeichnet werden würde. Die Tatsache, dass die immerhin schon 90-Jährige dann Ende August diesen Preis von Charlotte Rampling überreicht bekam, ließ eine Menge Cinephilenherzen höher schlagen.
Rampling spielte in ihrem wichtigsten Film, dem transgressiven Meisterwerk „Il portiere di notte“, eine Hauptrolle. Bei ihrer Dankesrede während der Eröffnungszeremonie der Festspiele forderte sie eine stärkere Anerkennung von Filmemacherinnen ein. Die zwei wichtigsten Filmfestspiele Europas tun sich in dieser Hinsicht weiterhin manchmal schwer – in Cannes sind dieses Jahr gerade mal vier Filme von Frauen
inszeniert. Aber zurück zu Cavani und ihrem neuen Werk „L’ordine del tempo“.
Es war einmal ein Sommer an der italienischen Küste. Eine Gruppe von Freunden – alles Psychiater, Physiker und Journalisten – treffen sich in einem üppigen Häuschen am Mittelmeer, um den 50. Geburtstag der Hausherrin zu feiern. Das größte Geschenk, das sie sich nicht gewünscht hat, ist aber im direkten Anflug. Langsam, aber sicher stellt sich heraus, dass ein fast zwei Kilometer langer Komet Anflug auf die Erde macht. Die Wahrscheinlichkeit, dass er auf die Erde aufschlägt, wird von Stunde zu Stunde größer. Dass diese Sommerstunden am Mittelmeer vielleicht ihre letzten sind, davon ist in dieser Geburtstagsgesellschaft nur wirklich niemand ausgegangen. Zeit also, zwischen all den Antipasti, Wein und Kuchen die Karten auf den Tisch zu legen.
Erinnert Sie der Plot nicht an einen anderen Film? Vielleicht an Lars von Triers „Melancholia“? Ja? Gut, dann fühle ich mich in dieser Vermutung nicht alleine. Man kann vom dänischen Filmemacher nun wirklich halten, was man will – und er hat sich mit seinen „I can understand Hitler“-Kommentaren bei der Pressekonferenz damals ins Knie geschossen und jegliche Chancen für die Palme d’Or sind somit binnen Sekunden verpufft –, aber „Melancholia“ ist wahrscheinlich sein Meisterwerk. Auch dort ließ sich eine Hochzeitsgesellschaft trotz bevorstehenden Unheils in der Form eines auf sie zurasenden Planeten nicht vom Feiern abbringen. Mit Wagners Tristan-Mucke war das schon ganz großes Kino. All das kann man von „L’ordine del tempo“ nicht behaupten.
Uninspiriert
Noch nie hat man sich gewünscht, die Welt würde vielleicht schneller untergehen, wie bei diesem Film. Und das hat rein gar nicht mit dem bourgeoisen Milieu zu tun, welches im Mittelpunkt steht. Aber die Einsichten, die sie mit ihrem Drehbuch hat, sind null und nichtig, sodass man sich fragt, wie um Himmels willen die Schauspieler:innen den Dreh durchgehalten haben. Natürlich war Liliana Cavani schon immer mit einer gewissen Distanz am Werk. Gerade die Distanz, die sie zu ihren Figuren in „Il portiere di notte“ innehielt, war einer der beunruhigenden Aspekte am Film. Aber hier löst sich einfach alles von allem und man weiß nicht, ob es noch Distanz, Ironie oder einfach nur geistige Abwesenheit ist. Die Momente, bei denen zu „Dance Me To The End of Love“ von Leonard Cohen getanzt und Charlie Chaplin geschaut wird – „che genio!“, so die Reaktion der Figur von Fabrizio Rongione – sind einfach nur urpeinlich.
Die Situationen, alles willkürlich aneinandergeklebte Dialogsequenzen, die weniger einer Theaterarbeit als einer Soap-Opera gleichkommen, sind vollends energielos und völlig frei von jeglicher Daseinsberechtigung. Die Diskussionen um die Begrifflichkeit und Existenz von Zeit sind so uninspiriert und didaktischer als alles, womit der französische Film aufwartet. Tun Sie mir einen Gefallen, überspringen Sie diesen Film und ziehen Sie sich stattdessen „Melancholia“ und „Il portiere di notte“ rein.
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