Alain spannt den Bogen / Kammermusikalische und orchestrale Farbenspiele
Kaum ein anderes Werk kann so viele verschiedene Transkriptionen aufweisen wie Johann Sebastian Bachs Goldberg-Variationen. Ob für zwei Klaviere, Harfe, Gitarre, Akkordeon, Blechbläser oder Orgel, Bachs Meisterwerk klingt auf jedem Instrument und in jeder Besetzung (fast immer) gleich gut. 1984 hat der russische Violinist und Dirigent Dimitri Sitkowetzki eine Fassung für Streichtrio erstellt, die auch heute noch zu den besten Bearbeitungen der Goldberg-Variationen zählt, insbesondere weil hier keine Kürzungen vorgenommen werden.
Neue Transkription der Goldberg-Variationen
80 Minuten dauerte dann auch eine ganz neue Fassung für Streichtrio, welche die beim Luxemburger Publikum sehr beliebte Janine Jansen, Violine, Timothy Ridout, Bratsche und Daniel Blendulf, Cello komponiert haben und die sie am vergangenen Dienstag im Kammermusiksaal der Philharmonie vorstellten. Diese Bearbeitung besticht durch ein minutiöses Herausarbeiten der drei Stimmen, die noch stärker als bei Sitkowetski charakterisiert werden. Zum Teil sezieren sehr langsame Tempi die Musik und scheinen sie auflösen zu wollen; die Stimmen driften dabei oft auseinander, um sich dann aber immer wieder aufs Neue zusammenzufinden. Auf der anderen Seite werden andere Variationen sehr schnell gespielt, wobei die Interpreten die Musik bewusst aufrauen, sie quasi herausmeißeln und zu einer Skultptur werden lassen.
Zwischen diesen beiden extremen Spannungsgebieten, nämlich zwischen einem musikalischen Auflösen und sehr markanten Akzenten, entfaltet sich das ganze Bach-Universum und gewinnt durch diese gelungene Bearbeitung ganz neue Farben, Perspektiven und Ausdrucksmöglichkeiten. Die Interpretation von Jansen, Ridout und Blendulf lebte von einer Dynamik und einer ungeheuren Innenspannung und faszinierte auf der ganzen Linie. Allerdings begann das Konzert etwas uneinheitlich; die einleitende Aria und die drei ersten Variationen wirkten verhaspelt und unpräzise, sowohl in Jansens Intonation als auch im Zusammenspiel der drei Musiker. Dann aber hatten sie sich Akustik und Klang zu eigen gemacht und das sehr disziplinierte, aufmerksame und erstaunlich ruhige Publikum konnte an einer überragenden Aufführung von Bachs Goldberg-Variationen teilhaben.
Poetische Klangbilder
Wie Janine Jansen ist auch Daniel Harding ein sehr beliebter und regelmäßiger Gast in der Philharmonie Luxemburg. Diesmal kam er zusammen mit seinem Swedish Radio Symphony Orchestra, in dem auch der Luxemburger Trompeter Max Asselborn spielt. Alexandre Kantorow ersetzte die erkrankte Pianistin Maria João Pires. Auf dem Programm: Hugo Alfvens „En Skärgardssägen“ („Eine Schärensage“), das 4. Klavierkonzert von Beethoven und Richard Strauss‘ Tondichtung „Also sprach Zarathustra“. Bereits im einleitenden Alfven-Werk wurden die Stärken des Orchesters klargemacht. Ein homogener, erstaunlich weicher, aber immer erdiger Streicherklang mit dunkeltimbrierten Celli und tiefen Kontrabässen sorgte für die Grundstimmung, in die sich dann Holz- und Blechbläser kammermusikalisch fein und fast solistisch einfügten. Hardings umsichtiges und präzises Dirigat strebte ein sehr offenes, pulsierendes und atmendes Orchesterspiel ohne Pomp und Pathos an. Selbst der Anfang von Strauss’ „Zarathustra“ klang trotz seiner Wucht durchsichtig und kontrolliert.
Viel interessanter war, was danach geschah. Harding beließ es nicht bei einer routinierten, auf wenige Linien konzentrierten Interpretation, sondern drang immer weiter in das Klanggebilde vor, hob Nebenstimmen heraus, kreierte wundervolle poetische Stimmungen und schuf mit seiner intelligenten Lesart eine regelrechte Wiese an Klängen und magischen Momenten. Die Soli waren wunderbar, vor allem durfte die Konzertmeisterin mit einem sehr schönen und expressiven Geigenspiel glänzen. Dieser poetische und klangfarbenreiche Faden zog sich dann auch durch den ganzen Abend. Das Konzert, das so wunderschön mit Alfven begonnen hatte und stimmungsvoll mit Strauss zu Ende ging, besaß im Mittelteil einen ungeahnten Höhepunkt, nämlich Beethovens Klavierkonzert Nr. 4, das wir erst vor wenigen Wochen mit Beethoven-Experte Rudolf Buchbinder und dem Luxembourg Philharmonic an gleicher Stelle gehört hatten. Diesmal spielte der erst 27-jährige Alexandre Kantorow dieses schönste aller Klavierkonzerte. Und es wurde ein unvergessliches Erlebnis.
Anders als Buchbinder mit seiner agilen und rhythmisch akzentuierten Interpretation, ging Kantorow das Werk viel sanfter und poetischer an. Der Anfang geriet ihm fantastisch, sensibler und nuancenreicher kann man das nicht spielen. Diese poetische Lesart ohne jeglichen Anflug von Manierismen wurde dann sofort von Harding und dem hervorragenden Swedish Radio Symphony Orchestra übernommen und weitergeführt. Darüber hinaus legte Harding seinem Solisten einen wunderbaren Klangteppich aus, auf der er nach Herzenslust atmen und phrasieren konnte. Harding erwies sich als aufmerksamer Dirigent, immer bereit, einen lebendigen Dialog mit Kantorow einzugehen. Die Orchestermusiker, flexibel und aufmerksam, begleiteten auf höchstem Niveau. Der folgende Mittelsatz geriet Kantorow und Harding extrem präsent und markant, das Zwiegespräch verlief stimmig und spannend. Im letzten Satz dann übertrafen sich alle noch einmal und spielten dieses Rondo Vivace mit viel Einsatz und Wertschätzung, sodass Beethovens Humanismus in jedem Moment spürbar war. Standing Ovations dann für Alexandre Kantorow, ohne Zweifel einer der besten Pianisten, die in ich den letzten Jahren gehört habe. Als Zugabe spielte er das 2. Intermezzo aus Brahms’ 6 Klavierstücken op. 118.
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