Paris-Nice / „La Promenade des Américains“: Jorgenson entthront US-Landsmann McNulty
18 Jahre nach Floyd Landis gewann mit Matteo Jorgenson wieder ein Amerikaner Paris-Nice. Auf der letzten Etappe entthronte der 24-Jährige seinen US-Landsmann Brian McNulty. Der belgische Topfavorit Remco Evenepoel holte sich neben der Etappe in Nice auch das „Maillot vert“, das Bergtrikot und den „Prix de la combativité“. Bob Jungels wurde 34., Arthur Kluckers 77., Kevin Geniets musste nach Sturz aufgeben.
Wer „Côte d’Azur“ sagt, denkt automatisch an gutes Wetter. Und wer anfängt, über Paris-Nice zu fachsimpeln, fühlt sich sogleich in den angenehmsten aller Frühlinge hineinversetzt.
„La Course au soleil“, wie die einwöchige Fahrt noch genannt wird, macht ihrem Namen in der Regel alle Ehre. Meistens startet das Rennen vom Süden der französischen Hauptstadt aus bei kaltem, teil nassem Wetter. Doch je näher die Fahrer sich im Laufe der Woche ans Mittelmeer heranstrampeln, desto milder werden im Normalfall die Temperaturen.
Weil es nun aber keine Regel ohne Ausnahme gibt, kann Paris-Nice schon mal vom Regen in die Traufe statt von der Kälte in die Sonne führen. So auch bei dieser Auflage des Rennens, der 82. seit 1933, die weder den Sportlern noch deren Begleitern wettertechnisch gesehen in guter Erinnerung bleiben wird.
Evenepoels Fehler
Um die Gesundheit der Fahrer nicht zu gefährden, und weil am geplanten Etappenziel der Samstagetappe, der 1.614 m hoch gelegenen Skistation Auron in der Gemeinde Saint-Etienne-de-Tinée, Schnee zu erwarten war, hatten die Organisatoren umdisponiert, die Streckenführung gekürzt und die 15,3 km lange und im Schnitt nur 5,7% steile Schlusssteigung nach La Madone d’Utelle in den Parcours eingebaut.
Ganz oben, bei der Kapelle des Wallfahrtsortes, hatte es schon mal eine Etappenankunft von Paris-Nice gegeben. Damals, im Jahr 2016, gewann der Russe Ilnur Zakarin, acht Jahre später folgte ihm sein Landsmann Alexandr Vlasov, der an der Seite seines Bora-Kapitäns Primoz Roglic den Berg hochfuhr und sich auf den letzten 4 km allein auf und davon machte.
Eine vorzeitige Entscheidung in Sachen Schlusserfolg aber sollte am Samstag nicht fallen, da der amerikanische Leader Brian McNulty sein „Maillot jaune“ ins Ziel rettete. Vor dem gestrigen „Showdown“ im Hinterland von Nice hatte er allerdings nur mehr 4 Sekunden Vorsprung auf seinen Landsmann Matteo Jorgenson, 35“ auf den Dänen Mattias Skjelmose, 36“ auf den Belgier Remco Evenepoel, 47“ auf den Australier Lucas Plapp, 1‘21“ auf den Slowenen Primoz Roglic und 1‘42“ auf den Kolumbianer Egan Bernal.
Der im Vorfeld als großer Favorit auf den Gesamtsieg gehandelte Evenepoel war seinem Ziel demnach ein kleines Stück nähergekommen, nachdem er am Freitag den guten Zug hatte sausen lassen. „Es war ein taktischer Fehler, der Dreiergruppe Skjelmose, McNulty und Jorgenson nicht zu folgen“, so der belgische Meister, der sich und seine Anhänger auf die Wochenendetappen vertröstete, um nach der Algarve-Rundfahrt auch Paris-Nice in sein Palmarès zu schreiben.
So einfach aber war ein solches Vorhaben nicht, denn Evenepoel musste erstens McNulty vom Thron stoßen und zweitens auch über eine halbe Minute auf dessen Landsmann Jorgenson wettmachen. Dieser wiederum fühlte sich ebenfalls dazu befähigt, für einen Umsturz am Schlusstag zu sorgen. Beispiele, wie man es machen konnte, lieferte die Geschichte dieses Rennens.
Jorgenson der Stärkste
Im Jahr 2015 entthronte Richie Porte bei seinem zweiten Gesamtsieg Tony Gallopin, drei Jahre später überflügelte Marc Soler seinen Widersacher Simon Yates, und 2021 setzte sich Maximilian Schachmann durch, nachdem Primoz Roglic schwer gestürzt war. Interessant wohl auch, dass seit der ersten Auflage von Paris-Nice der Abstand zwischen dem Ersten und dem Zweiten des Schlussklassements sechsmal weniger als zehn Sekunden betrug.
Um seine letzten Chancen auf den Gesamtsieg zu wahren, hatte sich Remco Evenepoel die „Côte de la Peille“ ausgesucht. Dreimal attackierte der Belgier, beim dritten Male konnten nur noch Matteo Jorgenson und Aleksandr Vlasov ihm folgen. Zu fahren blieben etwas mehr als 42 km, an Schwierigkeiten standen noch die Ersteigung des „Col d’Eze“ (25 km vor dem Ziel) und des „Col des Quatre Chemins“ (5 km vor Nice) auf dem Fahrplan.
Evenepoels Angriff und Jorgensons Replik waren gleichbedeutend mit einem virtuellen Wechsel an der Spitze der Gesamtwertung. Vorne lag nun Jorgenson, der sich den Zwischensprint auf dem „Col d’Eze“ sicherte und dadurch den Abstand auf Evenepoel um zwei weitere Sekunden ausbaute. Dem Belgier blieb demnach nichts anderes übrig, als sich auf den Etappenerfolg zu konzentrieren, umso mehr, als der Amerikaner aus dem Team Visma-Lease a Bike seit Oktober 2019 in Nice wohnt und die topografischen Gegebenheiten am „Col des Quatre Chemins“ aus dem Effeff kennt.
„Noch lange kein Vingegaard …“
„Matteo ist ein verdienter Sieger“, gestand Remco Evenepoel, „er war der Einzige, der mir folgen konnte. Ich hatte einen Podiumsplatz und einen Etappenerfolg im Visier. Diese Ziele habe ich erreicht. Beim Mannschaftszeitfahren in Auxerre hatten wir Pech, doch lassen sich meine anderen Ergebnisse (einmal 2., einmal 3., zweimal 4.) sehen. Es war ein nervöses Rennen, es hat mir Spaß gemacht. Schade nur, dass mir dieser taktische Fehler am Freitag passierte. Niemand kann eine Antwort darauf geben, wie es sonst ausgegangen wäre.“
Matteo Jorgensen ist nach Bobby Julich (2005) und Floyd Landis (2006) der dritte Amerikaner, der Paris-Nice gewinnt. Für den 24-Jährigen (geb. am 1. Juli 1999 in Walnut Creek) ist es der bisher größte Sieg seiner Karriere, nachdem er 2023 die Oman-Rundfahrt gewonnen hatte. Bei der Tour de Romandie 2023 kam er auf den 2. Rang. „Ich war nicht so cool, wie es vielleicht den Anschein hatte“, meinte Jorgenson bei der Pressekonferenz. „Seit Samstagabend, als der Schlusssieg im Bereich des Möglichen lag, war ich nervös. Ich bin ein guter Fahrer, aber noch lange kein Jonas Vingegaard. Ich bleibe mit den Füßen auf dem Boden, ein Tour-de-France-Sieg ist für mich außer Reichweite.“
Geniets’ schwerer Sturz
Von den drei Luxemburgern, die bei Paris-Nice am Start waren, sahen nur Bob Jungels und Arthur Kluckers das Ziel. Jungels beendete die einwöchige Fernfahrt auf dem 34. Rang mit 50‘41“ Verspätung auf Gesamtsieger Matteo Jorgenson. Der Luxemburger war nach Aleksandr Vlasov (4.), Primoz Roglic (10.) und Matteo Sobrero (29.) der viertbeste Fahrer im Bora-hansgrohe-Team.
Der junge Arthur Kluckers zog sich bei seinem ersten Paris-Nice sehr gut aus der Affäre. Er belegte in der Schlusswertung den 77. Rang mit 1.21‘03“ Rückstand. Hinter dem Schweizer Yannis Voisard (19.), dem Australier Michael Storer (35.) und dem Italiener Matteo Trentin (73.) klassierte sich Kluckers als vierter Fahrer der Tudor-Mannschaft.
Pech hatte Kevin Geniets, der gestern in der gefährlichen und kurvenreichen Abfahrt der „Côte de Châteauneuf“ (73 km vor dem Ziel) in einen Sturz verwickelt wurde und genau wie der Kolumbianer Santiago Buitrago aufgeben musste. Geniets blieb nach dem Unfall lange mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Boden sitzen, ehe ihm Betreuer in den Mannschaftswagen halfen und ihn in die Klinik brachten. Gegen halb sechs kam Entwarnung: „Plus de peur que de mal pour Kevin …, des contusions, des égratignures, mais ça va …“
Wir wünschen gute Besserung!
Im Überblick
82. Paris-Nice, 8. (letzte) Etappe: Nice – Nice (109,3 km):
1. Remco Evenepoel (Belgien/Soudal-Quick Step) 2:50:03 Stunden, 2. Matteo Jorgenson (USA/Visma-Lease a Bike) gleiche Zeit, 3. Alexander Wlassow (Bora-hansgrohe) +0:50 Minuten, 4. Mattias Skjelmose (Dänemark/Lidl-Trek) +1:39, 5. Brandon McNulty (USA/UAE Team Emirates) gleiche Zeit, 6. Samuele Battistella (Italien/Astana Qazaqstan) +2:13, … 37. Bob Jungels (Luxemburg/Bora-hansgrohe) 10:16, … 68. Arthur Kluckers (Luxemburg/Tudor) 19:00
DNF Kevin Geniets (Luxemburg/Groupama-FDJ)
Endstand in der Gesamtwertung nach 8 Etappen:
1. Jorgenson 27:50:23 Stunden, 2. Evenepoel +0:30 Minuten, 3. McNulty +1:47, 4. Skjelmose +2:22, 5. Wlassow +2:57, 6. Luke Plapp (Australien/Jayco AlUla) +3:08, … 34. Jungels 50:41, … 77. Kluckers 1:21:03
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